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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Pferd sich schwankend abmühte. Poe wirbelte unmäßig herum, rotierte auf seinem Sattel, beschrieb mit seinem drahtigen Oberkörper eine Reihe wilder, wuchtiger, weit ausholender Bögen nach links und rechts und vor und zurück, und wenn man auch zugeben muß, daß der Gaul völlig reglos dastand, so bleibt doch die Tatsache, daß Poe bei seinem ganzen riskanten Getobe stets fest auf seinem Sitzgestell haften blieb.
    Das Gestell, auf dem Poe so wüst agierte, war eine behelfsmäßige Vorrichtung, die er selbst erfunden und in Salem unter dem Namen »Poes Thron« hatte patentieren lassen. Angeblich eine Luxussänfte, bestand das Ding in Wirklichkeit aus zwei übergewichtigen A-förmigen Holzböcken mit einem selbstgemachten Sattel aus Leder und Opossumfellen, einer gepolsterten Rückenstütze, Seitentaschen aus Segeltuch und einer handelsüblichen Unterbefestigung. Von dem Fellsitz abgesehen, bestand die ganze Konstruktion aus Kiefernholz und wog damit fast doppelt soviel wie jede ähnliche, nur konventionellere Vorrichtung.
    Aber die eigentliche Krönung dieser Erfindung war das, was Poe ihr etwa ein Jahr nach der Patentierung noch hinzugefügt hatte. Es handelte sich um einen Sicherheitsgurt, der den Reiter jederzeit im Sattel festhielt. Und genau dieser Gurt machte es dem betrunken um sich schießenden Poe möglich, gleichzeitig so wüst herumzufuchteln, beide Pistolen abzufeuern und dennoch auf seinem Thron kleben zu bleiben.
     
    Ohne seinen »Thron« wäre Abie Poe gar nicht erst in dieses gottvergessene Tal geraten, denn er hatte unter dem Vorwand, einen Fabrikanten für sein Sitzgestell zu suchen, die einsamen Prärien des Westens verlassen und den Ritt nach Süden angetreten. Da er kalkulierte, daß die Bewohner des Westens zu viel von Pferden verstanden und zu wenig Geld für Luxussättel übrig hatten, brachte Abie Poe sein Konstrukt dorthin, wo alle Leute »entweder stinkreich oder strohdumm« waren. Wie er jedenfalls glaubte.
    Aber der Süden hatte sich als ebensowenig verständnisvoll erwiesen wie alle anderen Gegenden, die er durchstreifte. Niemand zeigte Interesse am Erwerb eines Patentes für ein hölzernes Reitgestell mit Sattel und Sicherheitsgurt.
    Poe hatte Beschäftigung gefunden als Lastwagenfahrer, Tabakpflücker, Tellerwäscher, Wilderer, Viehdieb und Einbrecher, aber schon nach der ersten Lohntüte hatte er jedesmal wieder aufgegeben.
    Als Vertreter für Silberbesteck machte Poe sich seine angeborenen Überredungskünste zunutze, um sich bei den jungen Ehefrauen einzuschmeicheln, die den größten Teil seiner Kundschaft ausmachten; er drangsalierte sie mit Liebesgeflüster, seifte sie mit öligen Komplimenten ein, führte ihre zitternden Hände auf die punktierte Linie und verleitete sie zu Unterschriften, die sie mit Haut und Haar zu vertraglichen Leistungen verpflichteten, denen nachzukommen sie überhaupt keine Chance hatten. Großmütig nahm er anstelle der Raten sexuelle Gefälligkeiten in Anspruch, und nachdem er die Frauen damit vollends in seine Gewalt gebracht hatte, preßte er sie gnadenlos aus bis auf den letzten Pfennig. In jenen Jahren hatte Abie Poe sich wahrlich mit den abscheulichsten Dingen abgegeben.
    So vergingen sieben Jahre, und dann mußte Poe in dem skandalös überfüllten Staatsgefängnis von Binbridge wegen zweifacher Erpressung und dreifachen Betrugs eine vierjährige Strafe absitzen. Die letzten sechs Monate seiner Haft verbrachte er aufgrund eines bedenklich fortgeschrittenen Befalls mit Trichuris trichiura, gemeinhin bekannt als Peitschenwurm, im Gefängniskrankenhaus.
    Die Gestalt, die im Winter 1935 in das Gefängnis von Binbridge eingezogen war, kehrte völlig verändert in die freie Welt zurück. Vollkommen abgemagert, war Poes früheres Babyface jetzt verhärmt und blutleer. Eine dünne blaurote Narbe zog sich von einer buschigen Braue hakenförmig um sein rechtes Auge und endete in einem kleinen Leberfleck, aus dem kurz geschnittene Haare sprossen – das Ganze sah aus wie ein Angelhaken, mit einem schwarzen Käfer als Köder. Seine kleinen Zähne waren gelb und gammlig geworden, und sein größter Trumpf – seine großen, scheinbar so aufrichtigen Augen – schienen ihre Offenheit verloren zu haben: eisig blickten sie und starrten meist in die Zwischenräume der Dinge.
    Sein ausschreitender Gang war zu einem steifen, schlingernden Humpeln geworden, da die für seine Auszehrung verantwortlichen Parasiten aus der Darmgegend in seinen rechten Oberschenkel

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