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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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ich auf sie zugehe. Ihr wehendes Gewand gleitet von ihren Schultern und knistert über das Auf und Ab ihrer Brüste, ihren Bauch, ihre Hüften, ihren Hintern, ihre Oberschenkel, zieht aus ihrem ganzen Körper elektrische Funken und zerfließt um ihre Füße. Ihre Zehennägel sind rot. Unvergleichlich ist ihre hehre Schönheit, die sanft fächelnden Laubwedel wehen das güldene Haar von ihren Schultern. Im Schutz des Zuckerrohrs pirscht sich ein Panther an sie heran – und froh ob der Chance, mein Geschick als furchtloser Jäger beweisen zu dürfen, spanne ich meinen Bogen, ziele, und lasse einen Pfeil durch das Röhricht schwirren, der das Herz der großen blauen Katze durchbohrt. Nun jagt prasselnd ein tollwütiger Bluthund heran. Mein Pfeil hemmt seinen Lauf.
    Cosey holt tief Luft, ihre Wonnehügel gehen auf wie zwei goldene Vollmonde. Ein Adler stößt herab, und mein Pfeil findet seine gefiederte Brust. Cosey schreit gedämpft auf und ruft unter Schluchzen: »Oh Jock!«, als ein nackter Mann in unsere Lichtung stürzt – drei Pfeile stecken in seinem Körper, hell leuchten die weißen Schwanzfedern vor der Menagerie tintenblauer Tiere auf seiner Haut. Er fällt Cosey Mo in die Arme und stirbt. Ich ziehe die Pfeile aus dem Leichnam und schiebe sie in den Köcher zurück. Ich höre Harfenklänge. Das Blut trocknet auf Jock Snow, und die Tiere kommen zur Ruhe. Die Musik schwillt an, ein Schwarm Kupidos schwebt in der Maske der Liebe hernieder. Die Kupidos schießen mit ihren verschnörkelten Bogen einen Hagel winziger Silberpfeile in die Luft. Die Pfeile sinken sirrend herab, durchbohren und töten Cosey, denn sie sind mit Natterngift bestrichen. Ich bin der Jäger und verfehle nie mein Ziel. Ich leere meinen Köcher in die Brüste der rosigen geflügelten Babys, hole den ganzen Schwarm herunter. Sie winden sich im nickenden, schwankenden Zuckerrohr und verzucken unter meinen Pfeilen. Ich lege mich neben Coseys Leiche, ziehe mir ihren blutbefleckten Petticoat übers Gesicht und lausche, verschlungen von der Dunkelheit, dem Stöhnen der Liebesgötter. Gelbe Sträuße. Rote Sträuße. Ich atme den Duft des Unterkleides – Schimmel und feuchte Leinwand.
     
    Poe säumte nicht lange, die Grenzen seiner Zurechnungsfähigkeit auf die Probe zu stellen. Drei Tage nach seiner Ankunft in Ukulore – an einem nassen Sonntag – nahm der wahnsinnige Prediger einen seiner größten Possenstreiche in Angriff.
    Das Ganze begann in der Kirche.
    Befriedigt, daß die gesamte Einwohnerschaft versammelt war, hob Poe an.
    »Sünder! Sehet nicht auf die Hände Eurer Nachbarn, sondern auf Eure eigenen! Nicht eine Seele unter Euch ist rein. Ihr alle starrt vor Schmutz. Kotbedeckt seid Ihr, und Euer Nachbar auch. Aber sehet, Ihr Rückfälligen. Die Gottlosen sind schon im Mutterschoß gezeichnet, und nie weicht der Schmutz von ihnen, bis daß der Tod sie in die Hölle speit. Sie weilen unter Euch, jetzt, in diesem Augenblick. Bevor wir die wahrhaft Verworfenen erkennen können, müssen wir zunächst uns selber reinigen. Höret meine Worte, Ihr Sünder. Ich spreche von der Verwandlung des Geistes durch das Mysterium der Taufe! Zu lange habt Ihr Euch in Schmutz und Kot gesuhlt. Vorwärts! Folgt mir! Lauter ist das Wasser, das den Geist kuriert! Kommt, Ihr Sünder! Sein Wasser harrt der Apotheose Eures Glaubens!«
    Abie Poe hinkte ans hintere Ende des Kirchenschiffs und machte vor der mächtigen Doppeltür halt. Und wieder sprach er die Gemeinde an.
    »Beachtet dies, Ihr Sünder! Die Läuterung des Geistes nimmt an dieser Tür ihren Anfang. Höret meine Worte und befolget sie vollständig! Bevor Ihr die Kapelle verlaßt, legt Hüte und Hauben ab. Entblößet Eure Häupter vor dem Allmächtigen! Zieht Eure Schuhe und Handschuhe aus, auf daß weder Köpfe noch Hände und Füße verborgen seien, denn hier trägt der Herr seine Wundmale. Auf! Vorwärts! Ich rieche das Blut an Euch! Lasset alles hier, Ihr Sünder! Folget mir zu Fuß! Zu den gesegneten Wassern! Vorwärts!«
    Der Prediger stieß die beiden Türen auf und stürzte sich ins Gewitter. Als Poe mit Hilfe des einzigartigen zweistufigen Steigbügels seinen »Thron« erstiegen und den Gurt angelegt und zugeschnallt hatte, waren auch die hut-, schuh- und handschuhlosen Dreihundert tapfer in den Sturm hinausgeschritten und harrten nun im Regen weiterer Instruktionen.
    »Vorwärts!« rief Poe, und grub seine Sporen tief in die fühllosen Flanken. Der alte Klepper wieherte kränklich, und als

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