Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave

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schließlich zu einem harten Klumpen gerann, krank und schwarz. Ja, krank und schwarz. Ich polsterte eine Tabaksdose mit Watte aus, legte den Schorf da hinein und die Dose wiederum zu den abgeschnittenen Haaren und Nägeln, die ich in einem Schuhkarton mit der Aufschrift » Schnitzel «aufbewahrte.
    Es fällt mir schwer, mich an all das zu erinnern … aus Mangel an Einzelheiten … allesamt untergegangen … in dem unerträglichen Wirrwarr aus dornigem Blut und blutroten Stacheln … dunklem Gemurmel … klebrigen Lachen … zitternden Handflächen und eingedickten kleinen Springbrunnen … trüb … vollaufend … in diesen Tagen der Angst.
    Ich hatte das lose Brett in der Wand meines Zimmers zur Seite geschoben und goß gerade ein paar Disteln mit meiner Pisse, als ich durch die keilförmige Öffnung einen Blitz aus dem bleiernen Himmel springen und seinen Zacken ins klitschige Herz des Galgenbaums hauen sah; er hieb den linken Arm sauber vom Stamm, und nur mehr ein einziger Arm beschwor nun noch die Wolken, flehte den Himmel um Gnade an. Gott hatte das stumme Schreien des Baumes offenbar endlich zur Kenntnis genommen und unter dröhnendem Gelächter einen Flammenzacken herabgeschleudert, um seine bettelnde Geste zu zerschlagen.
    Es gab ein gräßliches Krachen.
    Ich setzte mich auf mein Bett zurück, und als wäre plötzlich irgendein böser Bann gebrochen, starrte ich entsetzt an mir hinunter – in welchem Zustand war ich – und um mich her – in welchem Zustand war mein Zimmer: all der Unrat, die verschmierten Laken, der besudelte Kartoffelsack vorm Fenster, die nassen Zeitungsknäuel, die eingefädelten Nadeln, meine Bibeln, verdreckt und zerfetzt, einzelne Seiten im Zimmer verstreut und mit meinem Blut an die Wände geklebt; der bespritzte Boden unter meinen Füßen, der unheilige Zustand meines Krankenlagers, übersät mit winzigen Glasscherben, Reißzwecken, Splittern – Ich bekam eine Gänsehaut. Schwitzte eiskalten grauen Schweiß. Tränen strömten über meine Wangen. Ich saß da, die Arme erhoben, die Finger gespreizt, und spürte, wie meine innerste Seele sich in ihrer schäbigen fleischlichen Hülle wand. Das winzige Zimmer starrte von meinem Gestank. Ich war Dreck. Ich war Fäulnis. Ich war der Unflat in Person. Und ich sehnte mich nach Sauberkeit.
    Ich stemmte mich hoch und taumelte, die Hände in zwei schmutzigen Bandagen, aus der Hütte, über die vordere Veranda und auf den Hof.
    Auf meinem nach oben gewandten Gesicht und meinen zugepreßten Lidern spürte ich den kalten Guß des Himmels, spürte, wie der Dreck aus meinem klaffenden Mund, aus meinem Haar und vom Slum meines Körpers gespült wurde. Um mich Donnern und Krachen und eine Luft, die vor Elektrizität nur so knisterte. Regen umpeitschte mich. Die Atmosphäre schwoll von Gottes lärmenden Legionen – wütenden Wolkenebern wuchsen Flammenhauer, mit denen sie anderen Himmelsbestien die Bäuche zerschlitzten.
    »Reinige mich«, war mein Gedanke. »Reinige mich«, und der Himmel wusch mich mit seinen Fluten.
    Ich öffnete die Augen und sah nach dem zerschmetterten Galgenbaum, und kurz schien es mir, als hätte der Donnerkeil den längst abgestorbenen Baum wieder zum Leben erweckt, denn ich sah eine Silhouette, die von neuem beide Arme gen Himmel erhoben hatte: wüst schlugen sie um sich und stocherten mit dürren Fingern in den Wolken, und schwankend stand der Stamm auf seinen schlanken Wurzeln. Und dann ward ihm wundersam Stimme verliehen, und in dieser Sekunde flammte weißes Licht über den Horizont und zeigte den verzauberten Galgenbaum als den Wahnsinnigen, der er war – Abie Poe.
    Ich stand in meiner Nacktheit und sah den Prediger auf mich zureiten, und mit einem Mal überkam mich lähmende Angst – der Schrecken vor dem drohenden Ende. Eine Stimme in meinem Kopf intonierte – »Der Tod trug Schwarz und kam zu Pferde, und viele drängten ihm nach« – wiederholte es noch einmal, und meine Handflächen begannen zu jucken wie verrückt. Ich begaffte die rötlichen Löcher und das Jucken und den Regen und die Bauchschmerzen der Wolken und die Stimme in meinem Kopf – die mir jetzt wie viele Stimmen vorkam – und den Mann, der da schreiend, immerzu schreiend, auf mich zukam – All das – jedes für sich und als ein einziges Heer von Stimmen – all das sprach zu mir von Tod und Finsternis und Blut – ich fiel auf die Knie, neigte meinen Kopf und schloß, fühllos vom Regen, betäubt vom Rauschen der Flut, die Augen. Ich