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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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nach einigem karphologischen Gezupfe erinnerte man sich ihrer, und die stärkeren Männer aus dem Haufen machten sich über sie her und wuchteten den Rollstuhl samt der würgenden Insassin aus dem stinkenden Schlamm in den Regen empor. Wilma Eldridge trug eine Kapuze aus teerschwarzem Modder, der ihr bis über die Schultern troff, während der Rest ihres Körpers mit einer Schicht von Treibmüll überzogen war – toten Blättern, vermodertem Schilf, Binsensamen. Starr und blau wurde sie von den Schultz-Zwillingen in ihren Stuhl zurückgehoben, wobei keiner der drei dem hektischen Gewusel ihres Mannes Beachtung schenkte. Baker Wiggam deckte seinen schweren grauen Paletot über ihren zitternden Körper, und dann hob die Krüppelin ihr Gesicht dem unbarmherzigen Himmel entgegen und ließ sich die Matschkapuze aus den Haaren spülen.
    Ein wenig ernüchtert von diesem Vorfall, kam die Menge, in der Absicht, ihre Taufe um kurze Frist zu verschieben, am Ufer zusammen, während Abie Poe, der ebenfalls aus dem Wasser gestiegen war, sich hinter den klapprigen Rollstuhl stellte und Hand an die Griffe legte. Er ließ den Blick lange und ausführlich über seine Gemeinde schweifen, brachte durch sein Starren alle, die noch redeten, zum Schweigen, holte tief durch die Nase Luft und rief dann aus: »Riecht Ihr den Schwefel? Atmet ihn ein. Merkt Euch diesen Geruch! Schwefel! Der Gestank des Satans!« Er beugte sich über Wilma Eldridge und sprach leise zu der benommenen alten Schachtel – ja, zu ihr, und doch zu allen – so, wie nur Poe es konnte, erging sich in dunklem Geflüster und giftigem Zischen, von dem freilich niemandem ein Wort entging.
    »Lobe den Herrn, Wilma Eldridge«, wisperte er. »Satan, dein Name ist Unheil. Die Hand des Teufels ist es, welche uns in den Abgrund stößt! Aber es ist die Hand des Herrn, die uns wieder herauszieht!«
    »Halleluja!« blökte folgsam die Menge.
    Inzwischen war ich hinter ein paar Binsen zurückgewichen – nahm doch Poes geißelnde Moralpredigt plötzlich eine recht einschüchternde Wendung – einschüchternd? Ehrlich gesagt, bei diesem ganzen Zeug, von wegen wer da stößt und wer da zieht, fingen mir ganz schön die Zähne an zu klappern – ihr wißt, was ich meine? Mir war in diesem Augenblick etwa so behaglich zumute wie einem Freudenmädchen in der Kirche, und ich kam da unten in den Binsen ordentlich ins Schlottern.
    Und dann ertönte, nur wenige Schritt von mir entfernt, lauter als der Lärm des Regens, lauter als das dumpfe Durcheinander des Mobs, lauter als das schwülstige Poch Poch Poch meines Herzens der höhnische Singsang einer Kinderstimme.
    »Da is euer Teufl! Da is euer Arm, der den Stoß gemacht hat! Der, der da! Ich hab’s gesehen! Er hat die Bremse gelöst und sie wegrollen lassen! Ka-plaaatsch. Seht ihr? Da drüben im Schilf, die Hosen voll, weil er weiß, daß er’s getan hat!«
    Fists Wiggam baute sich spreizbeinig auf, zeigte, gebläht von Gehässigkeit, mit einem Wabbelarm auf mich und schrie verkniffenen Mauls und gerümpfter Nase: »Der Idjoot hat se reingestoßen! Der Idjoot hat se reingestoßen! Da habt ihr euren Stinker! Da habt ihr euren Stinker!«
    Und plötzlich schienen sie alle einen Schritt auf mich zugekommen! Und dann noch einen!
    Im Handumdrehen war Poe aus der Meute gefahren, und jetzt krempelte er einen matschigen Ärmel seiner Unterwäsche über den Ellbogen. Er tauchte den Arm in die Binsen, packte mich mit einem Zangengriff seiner gewaltigen schwarzen Hand beim Nacken und zerrte mich raus.
    Die ganze verdammte Bagage scharte sich herum, alles glotzte und reckte die Hälse und schnitt angewiderte Gesichter – alles nickte und machte »ah-hah« und »jaa« und »das ist er«; und plötzlich gab es zweihundert Zeugen, die allesamt »Sabotage!« brüllten. Poes stählerne Finger umklammerten noch immer meinen Hals, und ich starrte einfach den Boden an.
    »Wer bist du, Kerl?« schnaubte Poe; und dann, an die Menge gewandt: »Wem gehört dieses Kind?«
    Fists Wiggam meldete sich. »Dieses Kind is Abschaum, Prediger! Wohnt in der Hütte da drüben.« Und wieder tat seine kleine dicke Hand ihr schäbiges Zeigewerk.
    »Wie heißest du?« fragte Poe, packte mich am Kinn und riß mir das Gesicht herum, damit er mich besser sehen konnte. » Ich frage dich nach deinem Namen, Kerl!«
    »Der hat kein! Könnt ’n auch nich sagn, wenn er ein’ hätt! Das is ’n Idjoot! Sein Daddy is aus ’n Bergn, das hat ’n versaut! Stumm iss er, un

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