Und die Eselin sah den Engel
dem Schoß, sondern saß, den Hals zur Tür hin gereckt, einfach da und starrte den Doktor an. Nervös wiegte Doc Morrow das Baby, unfähig, sich auch nur ein einziges Wort seines Vorschlags ins Gedächtnis zu rufen; und die Sekunden krochen dahin, indes der elende Klausner seine bitteren Worte wisperte.
»Das Rauschen des Regens … hat aufgehört. Kommen wir in die Tage der Gnade, Doktor? Ich nehme an, der Allmächtige hat uns … Gnade gewährt. Lobet den Herrn.«
Er brach ab, besah die lose gefalteten Hände in seinem Schoß, wandte, mit einem qualvollen Ausdruck im Gesicht, seine Aufmerksamkeit wieder dem Doktor zu, und fuhr dann fort.
»Ach Doktor, ich verzweifle … so schwer sind unsre Missetaten … zahllos … Böse! Und meine Frau, Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch, verrückt geworden und zerfressen von Ausschweifungen! Böses Weib! Und lasterhaft! O schreckliche, o gottlose Rebecca. Wie furchtbar sie geirrt hat, als sie annahm, sie müsse, nur weil Gott … der Erhalter … der Tröster … es für gerecht und angemessen hielt, ihren Leib mit Trockenheit zu schlagen, sich ihres einzigen … fluchwürdigen Verlangens entledigen! Des einzigen Grundes, auszuharren! › Du sollst nicht begehren.‹ Und meine Frau hat begehrt, und, Doc Morrow, auch ich habe begehrt … Ach, auch ich!!«
Sardus verstummte, und der Arzt trat ein wenig näher heran, zögerte, und schritt dann durch das dunkle muffige Zimmer. Das Kind auf einem Arm haltend, zog er an der Schnur des ausgebleichten und zerfetzten Rollos und ließ es flappend nach oben schnurren. Von einem dünnen Schattenkreuz gevierteilt, fiel ein strahlender Block Sonnenlichts in das stinkende Zimmer. Mit der freien Faust schlug Doc Morrow den rostigen Riegel an dem grellen Fenster los und riß den aufgequollenen Rahmen nach oben. Und gleich fuhr eine frische Brise in den Raum.
»Luft«, nahm der Arzt zum erstenmal das Wort, »und Sonne, rein wie Gott selbst. Denn dies sind Gottes Gaben, mit denen uns zu belohnen Er für richtig erachtet an diesem Tag … uns etwas von Seinem Selbst zu spenden … so wie Er, in Seinem höchsten Ratschluß, uns diese Gaben auch wieder nehmen kann. Wir müssen uns mit den vorhandenen Wundern begnügen, und dürfen nicht im Finsteren der Hoffnung fröhnen, über irgendein unvorhergesehenes Wunder zu stolpern! Atme, Sardus, atme! Und siehe, was vor dir liegt!«
Sardus schirmte mit einer schmierigen Pranke seine Augen.
»Ich war Euch dankbar, wenn Ihr mein Haus lassen würdet, wie es ist … Zieht das Rollo wieder vor, Sir … Heut ist kein Tag der offenen Tür im Irrenhaus, Doktor!«
Aber der Arzt schritt wieder durchs Zimmer zurück und ließ das Fenster offen und das Rollo oben.
»So schwer sind unsre Missetaten, guter Doktor, doch seht«, gestikulierte Sardus herumschwenkend in den blauen Himmel hinter dem Fenster, »die Welt strahlt in Seiner unendlichen Gnade! O Gott! Überhäufe mich! Überhäufe mich mit Deiner gütigen Gnade!«
Sein Flüstern war jetzt nur noch ein Krächzen, und Doc Morrow schlurfte bereits den Flur entlang. Sardus verharrte in seinem Sessel, wartete auf das Zuschlagen der Küchentür, und auch, als er es hörte, stand er nicht auf, sondern blieb einfach inmitten seines Müllbergs sitzen.
Doc Morrow wiederholte seine Besuche am nächsten Tag und an vielen weiteren Tagen, wobei er jedesmal den winzigen Findling mitbrachte.
Der dritte und meist schweigsame Teilnehmer an ihren täglichen Gesprächen lag dabei immer in den Armen des Doktors, der jedoch keinerlei Anstalten machte, ein Wort darüber verlauten zu lassen. Erst gegen Ende der vierten Woche fragte Sardus wegen des Kindes an.
Im Lauf der folgenden Tage erzählte der Doktor dem schäbigen Klausner die Geschichte des wundersamen Kindes, und schließlich legte er ihm den Findling in die Arme.
In dem Augenblick, da Sardus in das Bündel blickte und die Schönheit des Antlitzes der Kleinen gewahrte, ihren winzigen Körper warm und kuschlig in seinen dürren Armen spürte, glaubten er und der Doktor das Licht der Wahrheit aufstrahlen zu sehen, die ihre Hand ein wenig weiter in den Dornbusch ihrer Verwirrung schob.
Der einstmals stolze Führer der Ukuliten reichte das Mädchen dem Doktor zurück, geleitete ihn durch die Küche zur Vordertür und sagte mit feierlichem Ton: »Doktor Morrow, ich muß Euch bitten, weder allein noch mit dem Kind für eine ganze Woche mein Haus zu betreten. Versprecht mir das. Kommt am nächsten
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