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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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seiner Wohnstatt erkoren hätte. Um mich ein einziges Summen und Brummen. Geflügelter Unflat. Schänder. Mehr Fliegen als bei der Kreuzigung, nahm ich an. Der Teppich, dreckverkrustet und voller Müll, war nicht mehr der prächtig dunkelrote Flausch wie früher. Alles war mit Rattenkot übersät, und in den Ecken stank hier und da ein aufgerolltes Stück Hundekacke übel vor sich hin. Zu beiden Seiten der verschlossenen Türen, die in die Kirche selbst führten, standen auf niedrigen Steinsockeln zwei topfförmige Porzellanurnen – das heißt, eine lag zerbrochen umgekippt; die andere schien aus unerfindlichen Gründen von besonderem Interesse für die Fliegen zu sein, denn sie schwärmten wie eine schwarze Wolke über der Öffnung, und aus dem Innern drang ein gieriges Summen. Ich sah davon ab, sie genauer zu untersuchen.
    In einer Hand die Bibel, in der anderen das mit White Jesus gefüllte Gurkenglas, die Schere im Gürtel und die Hämmer meines Herzens in rasendem Takt, schob ich die Tür zum Kirchenraum auf.
    Die rostigen Angeln gaben ein langes stotterndes Stöhnen von sich, als die schwere Tür aufschwang und hinter mir wieder zufiel.
    »O Gott!« dachte ich, voller Abscheu vor dem Anblick, »was haben sie mit deinem Haus gemacht?« Aber es kam keine Antwort – denn offenbar lebte Gott hier nicht mehr. Geplündert, entweiht, demoliert, besudelt – die Kirche war zu einer Müllhalde geworden, und Scheußliches war allenthalben. Gold und Herrlichkeit – alles weg. Der Gestank von allem, was faul und menschlich ist, hing dick in der Luft – in einer Luft, die einst von Weihrauchdüften erfüllt war. Der Boden war voller Müll – ein Meer offener Büchsen und leerer Flaschen, dunkelgrün und braun. Die Mittagssonne wagte sich sogar in diesen Bezirk, brach durch ein zerschlagenes Dachfenster und lag in schmierigen Scherben auf dem Unrat. An den Säulen waren große Teile der Mosaike mit Darstellungen der Leidensgeschichte herausgehackt, so daß nur noch der graue Mörtel zu sehen war, und was man von den Szenen noch erkennen konnte, war von plumper und blasphemischer Hand noch weiter geschändet worden. Ich besah mir die Säule der Heiligen Veronika, und sie wischte nicht mehr die Stirn Unseres Herrn, sondern säugte ihn mit einer gewaltigen grünen Brust. Mit der gleichen grünen Farbe hatte man Sprüche an die Wände gepinselt. Die Behänge waren zerrissen und lagen über den Bänken. Schmutzige, nach Pisse stinkende Decken lagen in Haufen herum. In einige der Fenster hatte man Pappkartons gerammt, andere waren mit Brettern vernagelt. Auf den Simsen staken Kerzenstummel in wachsverkrusteten Weinflaschen. Nervös raschelte es im Müll, als die Ratten sich darin versteckten und beobachteten, wie ich da im hinteren Teil der Kirche stand. Aus dem Weihwasserbecken, in dem auf einer Handbreit Schaum eine aufgedunsene Ratte schwamm, wehte der Geruch des Todes. Die Kirchenbänke wimmelten von Schmeißfliegen, laut dröhnte ihr Brummen in dem hohlen Haus. Nur der schreckliche Christus war nicht entweiht: auf seinen ebenhölzernen Halter genagelt, hing er hoch über dem Zugriff jeglicher ruchlosen Hand.
    Endlich sah ich, von meinem Platz neben der Tür, den Fuß des Hobos – er selbst eine Obszönität, hellrot vom noch immer rinnenden Blut – aus der hintersten Bank in den Gang ragen. Dort mußte er liegen.
    Ich watete hin.
    Der Penner lag ausgestreckt auf der Bank, ein dünnes bestiefeltes Bein und ein dünner Arm baumelten runter. Das rechte Hosenbein war überm Knie abgerissen, und unter der zerfleischten Wade stak ein Kniekissen, aus dem die Füllung quoll. Ein anderes diente als Unterlage für den Kopf.
    Er starrte mit kaltem und glasigem Blick ins Gewölbe und schien nicht bei Bewußtsein. Fliegen wühlten sich in dem Speichel, der schäumend aus seinen Mundwinkeln trat, und auf der linken Seite seines Gesichts war wie eine Kriegsbemalung ein verschmierter blutiger Handabdruck. In dem Blut auf der Wange klebte eine Feder aus dem Kniekissen. Er war nicht tot, denn er atmete – aber der Atem ging langsam und mühevoll, und jedes Luftholen war von einem dünnen Pfeifen begleitet. Ich stand über ihm, sah auf sein bärtiges, blutiges Gesicht hinunter, und beobachtete ihn erst mal eine Weile.
    Und als ich so da stand, überlief mich unwillkürlich ein Schauder, genau wie im Vorraum, als ich die Bibel aufgeschlagen und den Satz über die verdrehten Kinder gelesen hatte. In der gespenstischen Miene des Hobos lag

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