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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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der in diesen zahllosen einsamen Stunden der Inspiration meinen Kopf erfüllte, war eine Eingebung – göttlich, von Gott geschwollen – wirklich, ja, wirklich. Gute Gedanken. Gottes Gedanken.
    Aber eins will ich euch sagen – die Anweisungen, die ich wegen der Hobos bekam – nein nein, vergeßt es. Ich will nur sagen – alles in allem hatte ich einen ziemlichen Haß auf diese stinkenden Penner – einen ziemlich bösen Haß – und der wuchs noch in meiner dunklen Zuflucht – kristallisierte sich gewissermaßen, konzentrierte sich, dieser böse Haß – ja, das tat er. Inspirierter Haß – direkt von Gott inspirierter Haß.
X
    Der Tag: 6. Oktober 1952.
    Mule legt sich hin und stirbt. Euchrid begräbt das Tier und den Knüttel, der es totgeschlagen hat. Ein Hügel weicher Erde am Fuß des Wasserturms bezeichnet die Stelle.
    Euchrids Vater baut ein Kartenhaus – dreiundzwanzig Stockwerke hoch.
    Sitzt die ganze Nacht vor seinem Meisterwerk, bis die Morgensonne den Papierpalast in Gold verwandelt. Den Kopf gesenkt.
     
    Pa schlug Mule im Herbst tot, denn kupferfarben und golden war das Laub. Das weiß ich noch, weil das gefallene Laub, glitschig vom Morgentau, es möglich machte, Mules Kadaver zum alten Wasserturm zu schleifen. Sein Rücken war brutal zerschlagen. Ich nahm an, das Rückgrat war gebrochen.
    Ich nahm die langstielige Schaufel und begann zu graben, wobei Mules kalter starrer Blick immer wieder meine Aufmerksamkeit vom Geschäft der Beerdigung ablenkte. Er war tot, und die Toten müssen begraben werden, das weiß jeder, doch seine Augen schienen um Gnade zu flehen, als hätte ich, und nicht Pa, dem armen Vieh das Leben aus dem Leib geprügelt.
    Mein Spaten wandte dunklere Erde um, und plötzlich und ohne jede Vorwarnung lag etwas auf dem Blatt meiner Schaufel, das aussah wie das Skelett eines kleinen Hundes.
    Ich hockte mich neben das Grab, löste die rostfarbene Erde von den gefächerten Knochen und entdeckte einen winzigen Kinderschädel. Als nächstes, verbunden mit einer bröckligen kleinen Hand, Elle und Speiche, vermodert – und als ich die irdischen Reste meines Bruders ganz zutage gefördert hatte, alle seine Knochen unversehrt herausgehoben und auf einer weichen Unterlage aus goldenen gefallenen Blättern ausgebreitet hatte, schluchzte ich leise auf, und Tränen stürzten aus meinen Augen.
    Ich begrub Mules Kadaver und legte das Skelett meines Bruders in eine alte Besteckschublade, die ich auf dem Müll fand. Dazu bastelte ich einen einfachen Schiebedeckel, und dann nahm ich die Schachtel mit mir in den Sumpf und lehnte sie an die hintere Wand im Innern meines Allerheiligsten.
    Dort blieb er – mein teurer Gefährte – gut drei Monate lang, und zwar genau bis zu dem Tag, an dem sie den Gaul des Türken in den Sumpf jagte und die Leute meine Zuflucht fanden und kaputtmachten.
    Aber von all dem später.
    Ich liebe dich, kleiner Bruder! Und ich komm nach Hause!
     
    Alle Furcht wich von mir.
    Mein Körper geriet in ein köstliches Zittern. Seliges Schaudern. Mein ganzes Wesen schwoll von Kraft – von der Kraft. Das Blut rauschte dampfend in meinen Adern auf.
    Es sang. Mein Blut sang. Durchpochte mich. Mein Herz trieb das Blut mit Trommelschlägen. Die Pumpen der Wonne tobten und dröhnten. Mein Fleisch wie warmer Schlamm.
    Alle Furcht wich von mir.
    Ich fühlte mich wie damals in der Kirche, als ich über dem verkrüppelten Hobo stand, mit der Schere in der Luft rumhackte und auf ihn niedersah, der zu mir aufsah. Ihn winseln sah. Ich erinnere mich an seinen schmutzigen Bart und das vor Entsetzen verzerrte Gesicht, das ängstliche Zittern seiner Hände, sein klägliches Schluchzen, und wie sogar die lila Narbe unter einem triefenden Auge vor Angst ganz bleich geworden war.
    Alle Furcht wich von mir.
    Gemeinsam haben wir ihn ausgereutet. Ihn und Kike, seinen Kumpan.
    Alle Furcht wich von mir.
    Ich saß und sah den Rauch dick aus der brennenden Kirche wallen, das Feuer fraß sie auf – der Teufel forderte sie zurück. Das hell flammende Höllenfeuer zog eine schwarze Kapuze über die Ruhmes-Ebene.
    Ich hatte Ihm bewiesen, daß ich Seiner wert war, und daher erfüllte Er mich mit Freude, auf daß ich wisse, daß mein Werk mir angerechnet werde und Er mit mir zufrieden sei. Daß Er zufrieden war – das versetzte mich in Taumel.
    Ich ging nicht allein. Sondern an Seiner Hand.
    Und alle Furcht wich von mir.
    Die Ukuliten, bewaffnet mit Taschenlampen und Heurechen, sahen von meinem Posten auf

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