Und die Goetter schweigen
Reich, still und unberührt. Die Fenster sahen leer und schwarz aus, bis auf die eine oder andere Geranie aus Plastik. Die Vögel schwiegen, saßen wie Skulpturen in den Bäumen. Der Atem dampfte aus dem Mund. Am westlichen Flügel des Polizeigebäudes angekommen, aber vom Weg aus hinter einer Trauerweide verborgen, schlich sich Maria zur Garageneinfahrt. Ihre einzige Chance war, dass jemand versehentlich die Tür nicht abgeschlossen hatte. Das passierte manchmal, wenn Kollegen ihre Autos wuschen. Maria hatte früher einmal darauf hingewiesen, man hatte sie aber nicht ernst genommen. Diesmal hatte sie Glück. Richtiges Glück! Am wenigsten wünschte sie sich jetzt, am Empfang vorbeigehen, sich ausweisen und ihr Anliegen nennen zu müssen. Der Pförtner würde selbstverständlich Patrik Hedlund anrufen und ihren Besuch ankündigen. Lautlos schlüpfte sie durch die Außentür, nahm die Treppe nach oben, glitt den Flur entlang. Leise ging sie an der ersten Tür links vorbei. Das hier war wahnsinnig! Die nächste Tür war Patriks. Kriminalinspektor Hedlund stand mit deutlichen Buchstaben auf dem Schild. Sie klopfte vorsichtig. Warten. Kein Laut war aus dem Zimmer zu hören. Maria öffnete die Tür und schlich hinein. Ihr Herz pochte laut. Der Blutdruck lief auf Hochtouren.
Auf dem Schreibtisch und in den Regalen herrschte peinliche Ordnung. Alles lag symmetrisch gerade und ordentlich an seinem Platz. Keinerlei persönliche Sachen, kein Schmuck störte die quadratische Einförmigkeit. Die Tapete war grau kariert, zweifellos von Patrik selbst ausgewählt. Was Maria zu Beginn ihrer Beziehung so überkultiviert und geschmackvoll bei Patriks Wahl der Kleidung, der Einrichtung und der Farben vorgekommen war, empfand sie mit der Zeit nur noch als langweilig. Dahin hatte sich das alles entwickelt. Eingeschlossen und fade war es geworden. Maria sah sich in dem Zimmer um. An der Pinnwand entdeckte sie ein lächelndes Foto, ihr eigenes Gesicht. Schwarzweiß und in eine Ecke gedrängt war es da eingeklemmt, um Platz zu schaffen für wichtige Informationen. Auf dem Hintergrund der Fotografie rauschte schäumend, kraftvoll und stürmisch das Wasser des Fyrisån. Der Ring, den er ihr gegeben hatte, blinkte an ihrer Hand, die sie unter dem Kinn hatte. Sie hatten sich damals blitzschnell ineinander verliebt und ebenso hastig und kopflos verlobt. Der Traumprinz war im richtigen Moment erschienen, als Maria gerade besonders anfällig dafür gewesen war. Sie hatte sich einsam und ausgeschlossen gefühlt. Er hatte sie mit Fürsorge und Aufmerksamkeit umgeben, einer Fürsorge, die bald in eine regelrechte Bewachung übergegangen war. Hier und heute das Foto an der Pinnwand zu sehen verstärkte Marias böse Ahnungen. Er hatte sie nie richtig losgelassen. Eine aufgelöste Verlobung. Die Göttin War. Möglicherweise hatte die Asin eine männliche Gestalt angenommen. Ein maskuliner Racheengel. Konnte er Dick Wallström ermordet haben, um sie nach Uppsala zu locken? Woher konnte er wissen, dass ausgerechnet sie sich bereit erklären würde, nach Uppsala zu fahren, dass sie gerade im Dienst war und dadurch gezwungen, an den Ermittlungen mitzuarbeiten? Das war doch an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem konnte sie den wahnsinnigen Gedanken nicht wegwischen. Dem Kalender auf dem Schreibtisch nach hatte Patrik am 21. und 22. Dezember Dienst gehabt. Maria blätterte schnell den Posteingangskorb durch. Da! Ein genehmigtes Urlaubsgesuch für die Zeit vom 21. bis 23. Dezember. Ihre Muskeln wurden lahm, der Mund knochentrocken. Schritte näherten sich auf dem Flur. Maria entdeckte die Schranktür. Die Beine wollten sie nicht schnell genug dorthin tragen. Es kam ihr vor, als ob die Anziehungskraft der Erde sich verdreifacht hätte. Mit letzter Kraft konnte Maria die Tür hinter sich schließen, bevor Patrik über die Schwelle trat. Er pfiff auf seine eigene unnachahmliche Weise, kein richtiges Pfeifen, eher ein zischender Laut mit kräftigem Ansatz. Ganz plötzlich war es still. Maria hielt den Atem an. Patrik pfiff wieder und rutschte mit dem Stuhl. Maria versuchte vorsichtig auszuatmen. Jeder Atemzug hörte sich an, als würde ein Luftballon mit Gas gefüllt. Die Atemzüge wurden von den Schrankwänden reflektiert. Wie oft kann man die gleiche Luft einatmen, ohne wegen Sauerstoffmangels ohnmächtig zu werden? Atmet man nicht schneller, wenn man Angst hat? Dann verbraucht man auch mehr Sauerstoff. Sehr bequem stand sie nicht da. Wahrscheinlich hatte sie
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