Und die Ratte lacht - Roman
Zum Glück kann niemand sie sehen. Sie lächelt vor sich hin. Mach dir keine Sorgen, sie ist nicht verrückt geworden. Das ist nur ein privater Witz.
Einmal betrat sie eine Zoohandlung und suchte in den Käfigen nach einer Ratte. Der Verkäufer wollte die Polizei rufen. Dem armen Mann fehlte jeder Sinn für Humor.
*
Die Zuhörerin wurde von der geboren, die sie geboren hatte, deshalb hofft die alte Frau, dass zumindest beim ersten Wiedererzählen die Geschichte bis zu einem gewissen Grad dem Original treu sein wird. Und obwohl der Inhalt der Zeitkapseln nie vollständig bloßgelegt wurde, wird der Geist der Geschichte erhalten bleiben – auch Geschichten haben ihre Geister.
Wenn es so weit ist, wird die alte Frau unter die Erde gebracht werden, in die vertraute Dunkelheit. Sie hat keine Angst. Im Gegensatz zu jenen, die im Licht Schutz suchen, war sie dort. Sie entkam der Dunkelheit und blieb in der Dunkelheit.
Und bald wird sie dorthin zurückkehren. Wenn es ein Versprechen gibt, das nie gebrochen werden würde, dann war es das.
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Die alte Frau setzte alles auf eine Karte, und die Enkelin drehte ihr nicht den Rücken zu. Das hieß zwar nicht, dass es in der Zukunft kein Abwenden geben würde, doch das konnte man jetzt auf sich beruhen lassen.
Auch wenn die Geschichte frei von Liebe ist, so erfüllt sich, je näher sie ihrem unvermeidlichen Ende kommt, dennoch etwas. Das schwere Joch zu lieben – ein Infinitiv, vor dessen Verwendung sie sich immer hütete –, ohne den die Geschichte jedoch bedeutungslos ist. Die alte Frau hat vor, die Enkelin am Ende dieses Gesprächs zu bitten, im Internet ihre Mutter und ihren Vater zu suchen. Man sagt, dieses Netz spanne sich auch über eine Welt jenseits dieser Welt.
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Kurz vor ihrem Ende stellt die Geschichte die schwierigste Aufgabe: Wie kann man das Alter überwinden? Denn sie, ausgerechnet sie, darf sich nicht in eine alte Frau verwandeln. Denn wenn sie sich verwandelt, wie können ihr Vater und ihre Mutter sie erkennen, wenn sie zurückkehren? Der Gedanke, dass die Erfüllung des Versprechens vielleicht einer anderen zugute kommt, ist unerträglich.
In ihr ist die Zeit versteinert, das ist wahr, aber außerhalb hat sie ihren Zoll verlangt.
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Es wird dunkel. Immer wieder staunt sie über dieses natürliche Phänomen. Manchmal ist die eine Seite vollkommen dunkel, während auf der anderen noch ein rosafarbenes Licht zurückgeblieben ist. Aber egal, ob die alte Frau die Augen schließt oder offen lässt, plötzlich trifft sie die Dunkelheit.
Sie steht im Treppenhaus eines Tel Aviver Wohnhauses und drückt immer wieder auf den Lichtschalter, bis sie die Stimme ihrer Enkelin von unten hört. Ein Echo steigt vom Eingang auf, über dem alten Bombenschutzkeller.
Oma, ich bin unten. Gute Nacht.
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Diese Geschichte sollte in allen Details erzählt werden, sagt eine Stimme in ihr, ein Echo der öffentlichen Aufforderung, zu erzählen, bevor es zu spät ist, denn diejenigen, die erzählen können, werden immer weniger. Aber sie wird, wie viele andere, nur die Schale bieten können. Etwas, woran sich die Hände der alten Frau genau erinnern – ein Brennen ihrer Fingerspitzen, das sich nicht der Sperre der zentralen Erinnerung unterwirft, vergegenwärtigt es ihr –, ist die abgeworfene Haut der Schlangen: rau, hart, dauerhaft. Das Mädchen, das sie einmal war, beneidete die Schlangen.
Die Schale der Geschichte. Eine abgestreifte Haut. Mehr nicht.
*
Die alte Frau hatte nachgegeben und zugestimmt, etwas von ihrer Geschichte preiszugeben. Nicht weil sie glaubte, dass die Geschichte jemandem nützen könne, sondern weil sie im tiefsten Herzen insgeheim hoffte, dabei etwas zu entdecken, was ihr verborgen geblieben war.
Nun tut es ihr leid, dass sie so lange Zeit eine Geisel ihrer Geschichte war. Der Zorn und die Sehnsucht haben ihr jede Möglichkeit genommen, auszudrücken, was sie fühlt. Und sie fühlt so viel. In diesem Moment, in Tel Aviv, weint die alte Frau über sich selbst.
Trotz der Geschichte.
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Einmal ging die alte Frau zum Beichtstuhl. Das geschah ein paar Tage vor dem Gespräch mit ihrer Enkelin.
Segne mich, mein Vater, ich habe gesündigt.
Zum ersten Mal in ihrem Leben sagte sie »mein Vater«. Im Gespräch mit ihrer Enkelin wollte sie auch versuchen, »meine Mutter« zu sagen.
In der Kirche des heiligen Antonius in Jaffa saß der Priester hinter dem Gitter und drängte sie nicht. Seiner Herde – alles fremde Arbeiter – erzählte er, wie
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