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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Persona Verlag
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sei für alle, die keine Begabung zum Erzählen haben, und damit meinte er sie.
    Gut, eine Legende. Von mir aus.
    Ich musste nachgeben, sonst hätte ich gar nichts gehabt, was ich dir vorweisen kann. Wenn es nur das ist, was ich aus ihr herausbekomme, dann liegt es entweder an meiner Talentlosigkeit, die ich von ihr geerbt habe, oder es fehlt mir an Geduld und der richtigen Technik.
    Wenigstens einen Namen. Das ist es, was ich wollte. Verdammte Erinnerung, gib mir nur einen Namen, flehte ich innerlich. Ich halte es nicht aus, mit leeren Händen vor meiner Lehrerin zu stehen.
    Und plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke, der allerschrecklichste. Vielleicht erinnert sie sich auch nicht an ihren eigenen Namen, den Namen, den ihr ihre Eltern gegeben hatten. Ich will gar nicht darüber nachdenken, dass vielleicht der Name, den ich kenne, gar nicht …
    Was ist dann überhaupt wahr?
    Genau in diesem Moment klingelte es an der Tür.
    Meine Großmutter stand auf. Ganz langsam stand sie auf. Sie war angespannt.
    Wer kann das sein?
    Ich verstand nicht, warum sie so unter Druck schien. Ich sagte, vielleicht kommt jemand, um für Blinde oder behinderte Kinder zu sammeln. Die melden sich doch nie im Voraus an.
    Sie lehnte sich an die Wand, genau an der Stelle, wo sie für den Computer einen Platz freigeräumt hatte. Sie fing an zu husten, hielt sich den Mund zu.
    Ich fragte, erwartest du jemanden?
    Sie antwortete nicht.
    Vielleicht schließen sie dir endlich den Computer an?
    Sie dachte nach.
    Soll ich aufmachen, fragte ich.
    Wieder klingelte es, und ich wartete ihre Antwort nicht ab.
    Meine Mutter stand in der Tür, obwohl ich mich nicht mit ihr verabredet hatte.
    Sie sagte, ich mache mir Sorgen. Ich bin gekommen, um dich abzuholen. Sie versuchte, mir das Heft aus der Hand zu nehmen.
    Ich komme nach Hause, wenn ich fertig bin, sagte ich, das verspreche ich dir.
    Meine Mutter sagte, ich glaube, du bist noch zu jung, so ein Projekt solltest du in einer höheren Klasse machen, vor der obligaten Reise nach Polen. Morgen früh gehe ich zur Direktorin und beschwere mich über deine Lehrerin.
    Dass du das ja nicht wagst, sagte ich.
    Meine Mutter sagte, du bist noch ein Kind, was verstehst du schon davon? Warum hast du es so eilig, erwachsen zu werden? Wohin rennt ihr alle? Eure Generation hat keine Kindheit, ihr tut mir leid.
    Ich sagte, du verstehst überhaupt nichts. Kindheit, das hängt nicht von uns ab. Die Welt hat sich verändert.
    Komm heim, sagte sie. Oma wird es verstehen. Lass mich es ihr erklären.
    Ich sagte, du machst alles kaputt. Immer machst du alles kaputt.
    Ich ließ sie nicht in die Wohnung. Fast stieß ich sie fort.
    Schließlich drehte sie sich um und ging langsam die Stufen hinunter, mit dem Rücken zu mir. Dabei sagte sie, ich weiß überhaupt nicht, ob das, was wir über sie wissen, die Wahrheit ist, und vielleicht ist es besser, nichts zu wissen, denn wer weiß schon, was das mit mir gemacht hätte, mit uns … vielleicht hätte es unser Leben zerstört.
    Den letzten Satz hörte ich – ein schwaches Echo – schon vom Stockwerk darunter.
    Als ich ins Zimmer zurückkam, hatte sich meine Großmutter entschieden.
    Eine Legende.
    Oder gar nichts.
    Gut, das ist schließlich auch was.
    Wenn dieses Projekt scheitert, übernehme ich die ganze Verantwortung. Zumindest habe ich eine Legende gebracht, und vielleicht verdiene ich dafür noch ein Ausreichend. Das ist das einzige, was sie mir gab. Alles andere …
    Ich weiß es nicht.
    Einen Moment, Miri, noch etwas, bevor du über mich urteilst. Fast hätte ich es vergessen. Ich denke … ich glaube … einen Namen habe ich rausbekommen.
    Stefan.
    Ich glaube, so nannte sie die Ratte.
    Die Legende meiner Großmutter geht zurück auf die Erschaffung der Welt. Aber ihre Schöpfungsgeschichte ist eine andere. Sie beginnt mit dem fünften Tag, als Gott die Tiere erschuf. Das wissen wir alle, das steht ausführlich in der Bibel. Und er erschuf ein jedes nach seiner Art, er gab jedem seine tierischen Eigenschaften. Das kann man verstehen, auch wenn es nicht genau beschrieben ist.
    Am siebten Tag, nachdem er schon den Menschen erschaffen und geruht hatte, war Gott bereit, zur Arbeit zurückzukehren, denn er hatte das Gefühl, dass er seinem großartigen ersten Wurf noch den letzten Schliff verpassen sollte. Im Gegensatz zu dem, was in der Genesis steht, war er wirklich ein fleißiger Gott. Das kann man ihm nicht absprechen. Vor allem belastete ihn das Problem, wie er

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