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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Persona Verlag
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nicht. Und was die Ratte dazu brachte, sich weiterhin anzustrengen, war der Geruch des Mädchens. Es war Gestank, aber nicht der einer Toten. Und obwohl sie Luftsprünge machte und noch weiter hüpfte, war das Mädchen jetzt still wie eine Kartoffel, nur seine Haut war nicht mehr glatt. Die Ratte verstand, dass ihre letzte Hoffnung zum Teufel ging. Gott, dieser Hundesohn, hatte sie reingelegt und sein Versprechen einfach gebrochen, und auch das war eine Eigenschaft, die er jenem verliehen hatte, dem er feierlich verkündet hatte, »nach meinem Ebenbild habe ich dich erschaffen«, so sagte meine Großmutter.
    Nun entdeckte die Ratte – die alles andere als ein dummes Tier ist – den bedauernswertesten Fehler Gottes. Eine Welt, in der man Kinder verstecken muss, ist falsch konstruiert. Eine solche Welt müsste man komplett zerstören und neu aufbauen.
    Ich bin nicht sicher, dass sich dieser Teil schon in der ursprünglichen Geschichte findet. Vermutlich ist er eine Ergänzung meiner Großmutter.
    Und dann stieg das Mädchen aus der Erde.
    Ich unterbrach sie.
    Etwas fehlt.
    Wie stieg sie plötzlich hinauf?
    Meine Großmutter sagte, da kam eine Art schwarzer Engel. Er brachte sie wieder in die Welt dort oben.
    Wieder unterbrach ich sie.
    Ein Engel? Du glaubst doch nicht an solche Sachen.
    Meine Großmutter erklärte mir, das sei nur symbolisch gemeint. Wie die Symbole auf dem Bildschirm, die man mit der Maus anklickt. Das sei doch das Schöne an einer Legende, in normalen Geschichten seien die Symbole immer überladen, was für ein Glück, das der Computer ihnen ihre Reinheit und ihre verlorene Ehre zurückgegeben habe.
    Ich blieb hartnäckig. Also wurde sie gerettet. Es ist trotzdem ein Wunder geschehen.
    Meine Großmutter machte eine abweisende Handbewegung. Sie sagte, sie wolle sich nicht zu lange bei dem Engel aufhalten, weil in einer solchen Legende eine derartige Wendung normal und sogar notwendig sei. Es würde schon spät. Sie wolle fertig werden, damit ich etwas hätte, wenn auch nicht im Heft.
    Das Wichtigste, sagte sie, ist, dass das Mädchen in die Welt dort oben zurückkehrte. Sie stand endlich über dem Erdloch und sah die Öffnung unter sich im vollen Tageslicht, und das, obwohl die Sonne es nie mehr schaffen würde, sie zu erwärmen. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass das System zusammengebrochen ist, sagte meine Großmutter, die sicher von ihrem Computerkurs beeinflusst war.
    Das Mädchen deutete auf die Ratte, und aus seinem Mund drang lautes Lachen statt all der Geräusche, die vorher nicht aus ihr gedrungen waren. Das Mädchen schrie: »Hier ist das glücklichste Geschöpf der Welt!«
    Niemand wusste, wem sie das zurief und wer ihren Schrei überhaupt hörte. Diese Details ließ meine Großmutter aus, denn sogar wenn man eine Geschichte erzählt, braucht man Erinnerungen.
    Und da lachte die Ratte. Ihr Lachen ließ die Erde erzittern. Es war ihr erstes und letztes Lachen, und bei diesem Lachen erbebte auch das Erdloch von einem Ende zum anderen, bis es vor lauter Beben in sich zusammenbrach und begraben wurde.
    Und verschwand.
    Ich stand unten, und das Licht im Treppenhaus ging aus. Sogar die Öffnung zum alten Luftschutzkeller sah ich nicht mehr, so dunkel war es. Ich wartete auf sie. Ich rief zu ihr hinauf, dass ich unten angekommen sei, aber von oben kam keine Antwort. Plötzlich packte mich so etwas wie Angst. Ich drückte auf den Schalter, aber das Licht ging nicht an. Ich dachte, Stromausfall, und erschrak ihretwegen. Ich wollte nicht, dass sie dort oben allein in der Dunkelheit war, ich schlug auf den Schalter, schlug mit aller Kraft, fast hätte ich ihn kaputt gehauen, aber gerade dann ging das Licht an.
    Meine Beine rannten nach oben. Ich kann es nicht erklären, ich verstand selbst nicht, warum, aber ich schloss die Augen. In der Dunkelheit sprang ich hinauf, und es war meine eigene Dunkelheit. Ich spürte ihren Geschmack im Mund, konnte sie sogar kauen. Dunkelheit blieb mir zwischen den Zähnen hängen, in der Kehle, im Bauch, zwischen den Beinen …
    Ich wollte mich übergeben.
    Sogar als ich meine Augen aufmachen wollte, gelang es mir nicht, es war, als hielte sie mir jemand zu, der stärker war als ich. Ich hatte noch nicht mal genug Kraft, um meiner eigenen Seele etwas abzugeben.
    Noch nie im Leben hatte ich mich so gefürchtet. Ich kann es nicht erklären. Ich rannte weiter die Stufen hinauf, ich war noch nicht einmal sicher, ob ich nicht an ihrem Stockwerk vorbeigerannt und

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