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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Persona Verlag
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beschreiben konnte.
    Und sofort fiel mir noch ein Bild ein, das ich zu beschreiben versuchte. Sie zusammen mit anderen Kindern.
    Hatten die Bauern Söhne oder Töchter?
    Hast du dich mit ihnen angefreundet?
    Sie waren wie deine Geschwister, nicht wahr?
    Es half nichts, dass ich die Namen von Spielen versuchte, wie »Fangen« oder »Verstecken«, auch wenn sie diese Spiele damals bestimmt mit ihnen gespielt hat. Sie sah auf einmal so bedauernswert aus, doch wenn sie gewusst hätte, wie leid sie mir tat, wäre sie wütend geworden.
    Und als ich merkte, dass sie sich noch nicht mal an die Kinder erinnerte, verstand ich, dass die Sache verloren war. Und ich hatte schon nicht mehr den Mut zu fragen, wann sie anfing, ihre richtigen Eltern zu vergessen, obwohl ich mir diese Frage auf die erste Seite meines Hefts geschrieben und sie als wichtigste überhaupt gekennzeichnet hatte.
    Ich versteckte das Heft vor ihr.
    Ich dachte, ein so kleines Mädchen hat bestimmt sehr schnell vergessen, und das war ihr Glück, denn wenn man mich in meinem Alter an einem weit entfernten Ort versteckt hätte, hätte ich nichts vergessen, doch vielleicht liegt es auch daran, dass mein Gedächtnis anders funktioniert und ich nie etwas vergesse, darin bin ich meinem verstorbenen Großvater ähnlich.
    Ich beruhigte mich selbst, da habe ich eine ziemlich gelungene Geschichte, obwohl sie etwas kurz ist, ohne schreckliche Vorfälle, mit guten Menschen als Hauptfiguren und mit meiner Großmutter, die die schöne Seite des Lebens sah, und es ist mein Pech, dass ich nicht alles aufschreiben und hundert Punkte bekommen kann, denn das würde ich, wenn ich eine solche Geschichte angebracht hätte, nachdem wir die ganze Zeit nur fürchterliche Dinge gehört haben.
    Erst viel später fiel mir auf, dass nur ich es war, die die Worte »meine Mutter« und »mein Vater« ausgesprochen hatte.
    Ich wollte schon aufstehen, da sagte sie, komm, ich erzähle dir ein Märchen.
    Wieso auf einmal ein Märchen, sagte ich, ich bin kein kleines Kind mehr, ich bin doch nicht zurückgeblieben, dass man mir die Welt heil machen und mit allen möglichen Verzierungen verbrämen muss.
    Ich bin zu alt für Märchen, Oma, sagte ich, und überhaupt, in unserer Generation erzählt man keine Märchen, und wenn, dann nur Babys, die an ein Happy End glauben und das »und alle lebten glücklich und in Freuden bis zum heutigen Tag« bereitwillig schlucken, und dabei ist das die größte Lüge, die es gibt. Warum behandelt sie mich so?
    Und da sagte sie, es gebe beängstigende Märchen, und ich sagte, ja, wie Hänsel und Gretel, die die Hexe umbringen will, oder der hässliche Zwerg mit dem langen Namen, der das Kind der Müllerstochter haben will, bis das Mädchen sich zusammenreißt und ihn, den Zwerg, mit einem ebenso schmutzigen Trick reinlegt. Wenn schon Märchen, dann solche, in denen es Rache und Vergeltung gibt. So wie Hänsel und Gretel hätte ich der Hexe nie verziehen, ich hätte sie in den Ofen gestoßen und zu geschaut, wie sie verbrennt, und ich hätte sogar das Pfefferkuchenhäuschen tief im Wald verbrannt, bis nichts mehr übrig geblieben wäre. Und was die Müllerstochter betrifft, sie war nicht mehr so klein, deshalb vergaß sie auch nichts und erzog ihr Kind, das immer bei ihr blieb, dazu, niemandem zu glauben und sich vor verkleideten Ungeheuern in Acht zu nehmen, und was für ein Glück haben wir doch, dass es keine Zwerge mehr gibt, schließlich gab es mehr als genug böse Menschen, wozu sollte man dann noch alle Arten finsterer Geschöpfe erfinden.
    Warum sagte sie den Bauersleuten nicht, dass die Ratte sie störte. Oder sie versuchten, sie zu fangen, und sie kam immer wieder, denn eine Ratte ist ein stinkiges Raubtier und ein kleines Mädchen ist die leichteste Beute, die es gibt. Sie tat mir wirklich leid. Von allen Tieren der Welt ausgerechnet so eines. Das war bestimmt schrecklich. Ein abscheuliches, schmutziges Tier. Zum Kotzen.
    Ich erinnere mich, dass im letzten Frühjahr die Hausmeisterin in der Schule plötzlich eine Ratte entdeckte, die an der Regenrinne hochkletterte, und dass sie die Direktorin und alle Lehrer warnte. Der Unterricht wurde abgebrochen, und die Direktorin schrie, und es war nicht klar, ob aus Wut oder Angst. Die Ratte war aus dem Abfluss gekommen, und wir wurden alle nach Hause geschickt. An jenem Tag fiel die Schule aus. Das war, bevor du an unsere Schule gekommen bist. Arbeiter von der Stadt kamen, mit Masken und Gift, und entseuchten alle

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