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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Persona Verlag
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manche von ihnen mit einem friedlichen Gesichtsausdruck, andere sahen gequält aus. Aber sie lachten nicht, denn Tote können nicht lachen.
    Und meine Großmutter fügte hinzu, vielleicht gebe es ja Tote, die lachen, aber die Ratte fand keine.
    Die Ratte verzweifelte, und auch die Kinder, die sie bekam, verzweifelten und fingen an, Gott zu hassen und ihn sogar heimlich zu verfluchen. Laut wagte das keiner. Und weil das Versprechen von Generation zu Generation weitergegeben wurde, verzweifelten auch die Kinder der Kinder, und nach ihnen die Kinder der Kinder der Kinder der ersten Ratte, sie sagten zueinander, Gott gibt Versprechen, hält sie aber nicht. Sie fingen sogar an, nach einem anderen Gott zu suchen, aber sie fanden keinen.
    Und eines Tages kam ein Menschenjunges in das Erdloch der Ratte, ein Mädchen. Es lebte und atmete und nagte an ihren Kartoffeln, es roch nach Mensch, und aus seinen Öffnungen kamen Flüssigkeiten und Stoffe, die nur Menschen ausscheiden, und obwohl es keine von ihnen war, saß es dort in der Dunkelheit, genau wie die sie.
    Die Ratte des Erdlochs war nicht Zeugin von Gottes Versprechen gewesen, aber es war in ihrem Rattengedächtnis weitergeben worden, ein Gedächtnis, das überhaupt nicht kurz war. Sie fing an, zu hoffen. Sie hoffte und hoffte, aber das Mädchen lachte nicht.
    Meine Großmutter hielt inne. Ich dachte, sie wolle sich ausruhen, deshalb fragte ich sie, ob wir an einem anderen Tag weitermachen sollten. Mit der Lehrerin würde ich schon zurechtkommen. Ich würde um einen Aufschub bitten, denn ich wusste, dass du es verstehen und einverstanden sein würdest, dass ich meine Arbeit in der kommenden Woche abgebe.
    Meine Großmutter stand auf, ging zum Fenster und sagte, es wird schon dunkel. Sie bat mich, das Licht anzumachen.
    Noch ein Tag ist vergangen. Warum sagt ihr eigentlich »schade um die Zeit«?
    Wir benutzen es umgekehrt, Oma. »Schade um die Zeit« heißt bei uns, in unserer Generation, dass es etwas ist, was man auf keinen Fall verpassen darf. Das Tollste, was es gibt. Man muss die Zeit mit beiden Händen packen, damit sie nicht in einem schwarzen Loch verschwindet.
    Sie lachte. Vielleicht bin ich ihr vorgekommen wie einer der Klugscheißer im Fernsehen.
    Das hätte die Ratte zu Gott sagen sollen …
    Sie blieb stehen.
    Du schreibst nichts auf?
    Ich sagte, ich würde mir alles merken.
    Sie fuhr fort.
    … oder zu dem Mädchen.
    Und ich war nicht sicher, ob sie das Mädchen in der Geschichte meinte oder mich.
    Sie erzählte gleich weiter.
    Langsam nahm das Mädchen den Geruch derer an, die unter der Erde leben, es wurde immer schwärzer, aber es lachte noch immer nicht. Die Ratte versuchte auf alle möglichen Arten, das Mädchen zum Lachen zu bringen. Sie machte Luftsprünge, sie verließ die Höhle, kam zurück, schnüffelte an seiner glatten Haut und fraß ihm aus der Hand, und die Ratte war bereits sicher, gleich würde es passieren, sie würde zusammen mit dem Mädchen lachen und Gott beweisen, dass man Versprechen halten muss.
    Genau in dem Moment, als die Ratte davor stand, den Rattentraum zu verwirklichen, kam noch ein Mensch unter die Erde, der kein Menschenjunges war wie das Mädchen, aber auch er war nach dem Ebenbild Gottes erschaffen. Er begann, das Mädchen zu beißen, die Bisse eines Menschen, nicht die einer Ratte, und grub eine Höhle in das Mädchen, wie ein Mensch, nicht wie eine Ratte. Die Ratte verglich die beiden und kam zu dem Schluss, dass es sich tatsächlich um ein menschliches Geschöpf handelte, aber sie argwöhnte, dass dieser Mensch, der in ihren Bereich eingedrungen war, ihr die Chance auf die Verwirklichung ihres Traums verdorben haben könnte. Denn nachdem das Mädchen vorher noch irgendwelche Töne von sich gegeben hatte, drangen nun keine mehr aus ihm heraus. Von Lachen ganz zu schweigen.
    Ich begann zu zittern, ein Zittern, das ich nicht beherrschen konnte. Das war nicht die Geschichte, die ich gewollt hatte, falls ich überhaupt eine gewollt hatte, aber ich hatte keine Möglichkeit, sie aufzuhalten.
    Das Mädchen war nun das stillste Geschöpf der Welt. Die Ratte musste ihm direkt auf dem Kopf herumhüpfen, um sich zu beweisen, dass es überhaupt lebte. Manchmal kam es ihr vor, als sei das Mädchen gestorben, dann versuchte sie, es aufzuwecken, denn das war die einzige Chance, jemals ihren alten Traum zu verwirklichen. Dass meine Großmutter glaubte, Ratten träumten von etwas, klang in meinen Ohren wie ein Witz, aber ich lachte

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