...und Don Camillo mittendrin...
wiedersah.
Es war noch keine Woche vergangen, als Pinacci im Pfarrhaus erschien.
«Hast du dich endlich entschlossen?» fragte ihn Don Camillo.
«Den hab’ ich heute morgen bekommen, Hochwürden. Man sollte ihn mir vorlesen.»
«Und warum sollte gerade ich ihn vorlesen? Bekommst du denn zum ersten Mal einen Brief?»
«Es ist das erste Mal, daß ich einen solchen Brief bekomme. Bis jetzt waren es immer offene Sachen: Postkarten, Steuerformulare oder Blätter mit dem Wappen der Gemeinde oder der Regierung. Das hier ist verschlossen, und das bedeutet, daß es sich um etwas handelt, das nur ich lesen soll. Und weil Priester alles hören und nichts sagen dürfen, bin ich zu Euch gekommen.»
Don Camillo nahm ihm den Brief aus der Hand. Dann öffnete er den Umschlag und zog das Blatt heraus. Kaum hatte er es entfaltet, hieb er mit der Faust auf den Tisch.
Pinacci schaute ihn verdutzt an.
«Was ist los?» stammelte er.
«Nichts», antwortete Don Camillo.
Pinacci verstand immer noch nicht. Unterdessen hatte Don Camillo den Brief gelesen.
«Es wäre besser gewesen, wenn du ihn verbrannt hättest», erklärte er schließlich. «Das ist so ein Trottel, dem es Spaß macht, Leute zu beleidigen. Er sagt, du seist ein Gauner, ein Schurke und ein Landstreicher.»
In Wahrheit war in dem Brief nicht von Pinacci , sondern von Pinaccis Tochter die Rede. Und es wurde so schlecht über sie gesprochen, daß es auch dem gefühllosesten Vater zuviel geworden wäre. Lauter Verleumdungen, versteht sich. Aber üble Nachrede ist ein kleiner Wind, der zum Sturm anschwillt, und sogar Leuten, die stets nur an das Gute glauben, den Kopf verdreht.
Pinacci war ganz verdattert.
«Warum heißt es, ich sei ein Gauner und ein Schurke?»
«Weil der Schreiber ein Schuft ist, dem es Vergnügen macht, Leute zu beschimpfen und zu beleidigen. Aber jetzt lese ich dir alles Wort für Wort vor.
Sehr geehrter Herr Francesco Pinacci , da bis jetzt noch niemand den Mut gehabt hat, Euch zu sagen, daß Ihr ein Gauner seid, so sage ich es Euch ...»
Don Camillo fuhr noch eine Weile fort und tat so, als lese er, wobei er versuchte, dem Pinacci die saftigsten Beleidigungen zu servieren.
«Und die Unterschrift?» fragte Pinacci . «Sagt mir, wer es ist, und ich geh zu ihm und schlag ihm den Schädel ein!»
Don Camillo legte seine Hand auf das Blatt und hielt es fest.
«Hab’ ich dir nicht erklärt, daß es ein niederträchtiger Schweinekerl ist?» brüllte er. «Was für eine Unterschrift soll denn da stehen? Es ist ein anonymer Brief und bloß unterzeichnet mit . Wenn man wüßte, wer dieses Schwein ist, würde ich schon machen, daß ihm die Lust vergeht, anonyme Briefe zu schreiben. Da gibt’s bestimmt einige, die ihm eine ordentliche Abreibung verpassen wollen.»
Pinacci war völlig durcheinander, und Don Camillo setzte seinen Diskurs fort.
«Nur nicht dran denken. Es ist ein ganz gewöhnlicher Schurkenstreich. Du hast ein gutes Gewissen, und wenn dich einer anonym beleidigt, kann dich das nicht berühren. Laß aber den Brief lieber hier, weil ich die Handschrift studieren möchte.»
Als Pinacci gegangen war, nahm Don Camillo aus einer Kassette weitere elf Briefe. Er hatte sich nicht geirrt: Die Handschrift war dieselbe. Elf andere Personen hatten von diesem verfluchten « Einer-der-alles-Weiß » einen Brief bekommen, und sie hatten, nachdem sie die gemeinen Beschuldigungen des Unbekannten gelesen hatten, in aller Heimlichkeit Don Camillo zu Rate gezogen. Und Don Camillo hatte wie ein Pferd geschuftet, um sie zu beruhigen und zu überzeugen, die in den Briefen stehenden Schweinereien nicht ernst zu nehmen. Es handelte sich um lauter Anschuldigungen gegen Ehefrauen, Verlobte und Töchter. Den Verhältnissen angepaßte Anschuldigungen, alle sehr geschickt formuliert von einem, der die Leute genau kannte. Es mußte jemand aus dem Dorf sein.
Seit etlicher Zeit schon zermarterte sich Don Camillo den Kopf über diese schmutzige Geschichte mit den anonymen Briefen. Aber was konnte er tun? Sie waren ihm unter dem allerstriktesten Siegel der Verschwiegenheit anvertraut worden, und so durfte man gar nicht daran denken, den Maresciallo beizuziehen.
«Wenn dieser Feigling bloß mal mir einen Brief schriebe», dachte Don Camillo. «Über den könnte ich dann verfügen, wie es mir paßt!»
Aber es traf kein Brief bei ihm ein.
Zwei Wochen nach der Geschichte mit Pinacci kam hingegen Peppone. Er kreuzte vor dem Pfarrhaus auf, und
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