Und eines Tages kommt das Glück
hören, wie ihre Mutter ihren Namen rief, sich lustig über sie machte und dabei immer wieder mit den Füßen auf der hölzernen Veranda aufstampfte …
»Romy!«
Sie riss die Augen auf.
»Romy!« Es war Veronicas Stimme.
Romy schaute auf den Wecker an ihrem Bett. Es war halb sieben Uhr morgens. Sie schob die Bettdecke beiseite und stand auf.
»Was?«, fragte sie, als sie die Tür öffnete. »Was ist los?«
Vor ihr stand Veronica in einem weißen Seidennachthemd. Ihr Gesicht war bleich, und das Haar hing ihr wirr und feucht um die Schultern. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen.
»Ich fühle mich nicht gut«, sagte sie.
»In welcher Hinsicht?« Romy mochte nicht so recht an weitere Beschwerden glauben.
Veronica stöhnte und kniff die Augen zu.
»Wieder die Schmerzen von vorhin«, erklärte sie. »Es ist wirklich schlimm. Es fühlt sich an, als würde mir jemand mit einem Schürhaken im Rücken und in meiner Seite herumbohren. Es ist die Nacht über immer schlimmer geworden.«
»Hast du gestern irgendetwas Falsches gegessen?«, fragte Romy. »Als Giselle da war?«
»Nein«, antwortete Veronica. »Na ja, wir hatten ein paar Kekse zum Tee, aber das war alles.«
»Wie schlimm ist denn der Schmerz?«
»Grauenvoll«, sagte Veronica nur. »Ich fühle mich, als müsste ich sterben.«
»So schnell stirbt man nicht«, erklärte Romy fest.
Tränen glitzerten in Veronicas Augen. »Woher weißt du das? Woher willst du wissen, dass ich nicht eine tödliche Krankheit habe?«
»Weil du wahrscheinlich nur Blähungen hast«, meinte Romy. »Oh, Mam, du bist nicht todkrank, und das weißt du auch. Du übertreibst mal wieder.«
In dem Moment schrie Veronica ein weiteres Mal auf und krümmte sich vor Schmerzen.
»Okay, okay.« Romy legte den Arm um die Schultern ihrer Mutter. »Komm rein, und setz dich einen Moment hin.« Sie führte Veronica
ins Zimmer und half ihr auf einen kleinen Stuhl am Fußende des Bettes. »Glaubst du, es könnte dein Blinddarm sein?«
»Nein«, erwiderte Veronica bestimmt. »Den haben sie mir nach Kathryns Geburt herausgenommen.«
»Oh, das habe ich nicht gewusst. Okay, dann sind es vielleicht Krämpfe.«
»Ja, aber ehrlich, Romy, es wird wirklich immer schlimmer.«
»Du solltest doch heute zu Dr. Jacobs.« Romy stellte mit Schrecken fest, dass sie bei der Planung ihrer Flucht nach Australien den Termin in der Klinik völlig vergessen hatte.
»Er ist Orthopäde«, herrschte ihre Mutter sie an. »Er wird mir nicht sagen können, was mir fehlt.«
Romy schaute von ihrer gepackten Reisetasche zu ihrer Mutter. Veronica schien tatsächlich Schmerzen zu haben – psychosomatische Beschwerden hin oder her. Wenn ihr wirklich etwas fehlte, dann konnte sie sie jetzt nicht im Stich lassen.
»Ich zieh mich rasch an«, entschied sie. »Dann fahren wir in die Notaufnahme.«
»Danke«, sagte Veronica matt. »Ich danke dir sehr.«
Während Veronica beim Röntgen war, saß Romy im Wartebereich und fragte sich, ob ihrer Mutter wirklich etwas fehlte. Oder hatte sie es irgendwie geahnt, dass sie plante wegzugehen, und hatte ihre Beschwerden nur vorgetäuscht, um sie davon abzuhalten? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Veronica so etwas tat. Damals, als Dermot nach Kuwait hätte gehen sollen, war ihre Mutter zwei Tage vor seiner Abreise das erste Mal in Ohnmacht gefallen. Danach noch zweimal. Dermot war außer sich vor Sorge gewesen und hatte sie zum Arzt gebracht, aber letzten Endes hatte man ihnen nichts anders gesagt, als dass ihr körperlich nichts fehle und dass es ein Stresssymptom sein könne.
»Stress!« Verwundert hatte Dermot sie angesehen. »Weswegen bist du gestresst? Du fährst schließlich nicht in ein Kriegsgebiet.«
Woraufhin Veronica ihn angefahren hatte, dass ihr Haus das reinste Kriegsgebiet und wahrscheinlich weitaus gefährlicher sei als dieses blöde Kuwait! Romy hatte den Vorfall bis zu diesem Moment komplett vergessen.
»Wir haben Ihre Mutter stationär aufgenommen.« Irgendwann kam eine Krankenschwester mit dieser Information zu Romy. »Die Ärzte wollen noch weitere Untersuchungen machen.«
»Untersuchungen?«, fragte Romy ängstlich. »Was für Untersuchungen?«
Die Schwester zuckte die Schultern. »Untersuchungen, um herauszufinden, was ihr fehlt, offensichtlich.«
»Kann ich zu ihr?«
»Natürlich.« Die Schwester erklärte ihr, wie sie zu der Abteilung kam, in der Veronicas Bett lag. Es war kein Einzelzimmer, aber im Moment waren die anderen Betten
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