Und eines Tages kommt das Glück
dass sie auch früher schon ihre Mails mit »Küsschen« oder Ähnlichem unterschrieben hatte, aber sie wusste es nicht mehr. Romy konnte nicht begreifen, weshalb in der letzten Zeit jeder harmlose Gedanke an Keith mit tausend Hintergedanken befrachtet war. Allmählich wurde es zum Problem, dass sie nicht mehr unvoreingenommen wie früher den Freund in ihm sehen konnte. Deshalb war es wahrscheinlich besser, sich jeden Gedanken an ihn zu verkneifen, da er schließlich nicht derjenige welcher war, mit dem sie sich eine Liebesbeziehung wünschte. Er war ein Kumpel, kein Seelenverwandter.
Seelenverwandter! Bei dem Gedanken musste Romy verächtlich schnauben. Wie viele Ehen wurden tatsächlich zwischen Seelenverwandten geschlossen? Wie viele nur deshalb, weil die Leute dachten, sie seien verliebt, obwohl sie in Wahrheit lediglich Angst vor dem Alleinsein hatten? Romy begriff durchaus, wie schnell so etwas passieren konnte.
Ob wohl genau das auch Veronica und Dermot passiert war, zumindest aus Sicht ihrer Mutter? Veronica konnte nicht gut allein sein. Sie musste immer Menschen um sich haben, liebte Partys und Small Talk. Wie musste sie sich gefühlt haben, als nach der Trennung von Dermot auch noch ihre Kinder eines nach dem anderen aus dem Haus gegangen waren? War sie einsam gewesen in dem großen Haus? Hatte sie deshalb Larry geheiratet? Wenn ja, dann musste sie sich nach der Scheidung von ihm noch einsamer gefühlt haben. Obwohl ihr das Alleinsein nichts ausmachte, konnte Romy spüren, wie sehr das leere Haus auf ihr lastete. Wie lange dauerte es wohl, bevor einem dieser Zustand zu viel wurde? Einige Jahre? Monate? Wochen? Für einen Menschen wie Veronica vielleicht nur ein paar Tage. Ihre Mutter war eine so extrovertierte, temperamentvolle Frau, dass es einem schwerfiel, sie sich allein zu Hause vorzustellen.
Vielleicht war sie ja gar nicht allein! Vielleicht gaben sich eine
Unzahl von Verehrern die Klinke in die Hand, und sie hatte nicht eine einzige Nacht allein geschlafen, bis ihr Rücken angefangen hatte, ihr zu schaffen zu machen. Bei der Vorstellung wurde Romy ganz anders, und sie trank rasch einen Schluck Wein aus dem Glas, das sie mit nach oben genommen hatte.
Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass Veronica sich so etwas wie einen männlichen Harem hielt. Romy hatte erst zwei ihrer Freunde persönlich kennengelernt – Will Blake aus dem Bridgeclub und einen distinguierten Gentleman namens Noel Miller, der Mitglied der Musical-Gesellschaft war.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass du singst.« Überrascht hatte sie Veronica angeschaut, als sie eines Tages vom Postamt nach Hause gekommen war und Noel mit dem Programmheft für ihr nächstes Musical angetroffen hatte. Obwohl es Romy irgendwie unangenehm war, wenn Veronica Besuch von Männern bekam, freute sie sich andererseits für ihre Mutter, dass sie überhaupt wieder Freunde treffen wollte.
»Das tue ich auch nicht«, erklärte Veronica. »Ich betreue die Sponsoren und gestalte das Programm und Ähnliches.«
»Aha.« Trotzdem war Romy überrascht. Sie hätte nie gedacht, dass Veronica sich für eine Amateurtruppe engagieren würde.
»So komme ich wenigstens regelmäßig aus dem Haus.« Gleich darauf hatte Veronica das Thema gewechselt, als wäre es eine Schande zuzugeben, dass sogar eine Frau wie sie darauf angewiesen war, unter Leute zu kommen. Und dennoch. Als Veronica noch fit gewesen war, schien sie die meiste Zeit außer Haus verbracht zu haben. Da waren der Bridgeclub und die Musical-Gesellschaft, dann ihre Verabredungen mit diversen Freunden und Freundinnen zum Lunch oder Abendessen, und in einem Buchclub und einem Filmclub war sie auch noch aktiv. Es schien nichts zu geben, bei dem sie nicht mitmischte.
»Ja«, erwiderte sie, als Romy sie eines Tages darauf angesprochen hatte. »Ich schöpfe eben gern aus dem Vollen.«
Jetzt fragte Romy sich, ob Veronica tatsächlich so gern aus dem Vollen schöpfte oder ob sie nur deswegen so viel und oft unterwegs war, weil sie nicht allein sein konnte oder wollte. Sie musste daran denken, wie sie nach der Trennung ihrer Eltern die Wochenenden bei Dermot verbracht hatte. Veronica hatte ihr vorgeschwärmt, was sie in der Zeit immer alles mit ihren Freunden unternommen hatte. Sie sei im Kino gewesen und habe generell unglaublich viel zu tun gehabt, während Romy bei ihrem Vater gewesen war. Ob ich ihr gefehlt habe, überlegte Romy jetzt. Und dabei habe ich immer gedacht, sie wäre froh gewesen,
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