Und eines Tages kommt das Glück
reichte noch viel weiter in die Vergangenheit zurück. Und diese Generationen von Menschen, die einst hier gelebt hatten – von der Steinzeit über die Bronzezeit, vom Mittelalter bis zu den Osteraufständen –, sie waren es, um die Romys Gedanken in dem Moment kreisten. Sie stellte sich die Frauen vor, die vor ihr hier saßen (aber nicht auf einem bequem
gepolsterten Stuhl) und von verschiedensten Ängsten geplagt waren: Angst vor Hungersnöten, Angst um ihre Männer und Angst vor den Schlachten und Kriegen, die ringsum tobten. Und dabei kam Romy zu dem Schluss, dass sie sich eigentlich glücklich schätzen konnte, hier mit ihrem Glas Wein in der Hand zu sitzen und sich nicht die geringsten Sorgen machen zu müssen.
Zumindest keine gravierenden Sorgen. Vor dem Hintergrund einer geschichtsträchtigen Vergangenheit waren ihre Probleme banal und unwichtig. Andere Frauen vor ihr hatten darum zu kämpfen gehabt, am Leben zu bleiben; ihre einzige Sorge war es, ein ihr entsprechendes Leben führen zu können.
Nur schade, dachte Romy, als sie die Augen aufschlug und den restlichen Wein austrank, dass ich in dem Punkt so verdammt unbegabt bin.
Die Sonne versank hinter dem Horizont, und die Wolken verdichteten sich zu dunklen Säulen. Der Wind, zwar noch immer mild, frischte auf, sodass die Äste und Zweige in Bewegung gerieten. Romy ging ins Haus, blieb aber an der Küchentür stehen und blickte in den Garten hinaus, in Gedanken weiterhin bei den Menschen, die bereits vor langer Zeit verstorben waren.
Plötzlich bemerkte sie, dass das Wetter umschlug und sich rapide verschlechterte, und sie ging rasch noch einmal nach draußen, um die Polsterkissen wegzuräumen. Als sie wieder in der Küche war, sperrte sie die Tür ab und goss sich noch ein Glas Wein ein, bevor sie ihre Wanderung durch das Haus fortsetzte. Wie damals am ersten Abend, als sie allein gewesen war, begann sie im Wohnzimmer, ging dann ins Arbeitszimmer und schließlich hinauf in die Räume im ersten Stock. Seltsam, dachte sie, jetzt fühle ich mich hier nicht mehr so fremd, und das Haus kommt mir auch nicht mehr ganz so abweisend und feindselig vor, obwohl es noch immer dasselbe ist.
Romy stieß die Tür zum großen Schlafzimmer auf. Veronica hatte geplant, am Wochenende wieder hierher umzuziehen, da es ihr
inzwischen leichtfiel, die Treppen zu steigen, aber der Nierenstein hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als Romy das feminine Dekor, die romantischen Möbel und die teure Bettwäsche betrachtete, stieg in ihr eine plötzliche und völlig unerwartete Sympathie für ihre Mutter auf. Veronica war zwar umgeben von all diesen schönen Dingen, hatte aber niemanden, der mit ihr darin lebte, und ihre Angst vor dem Alleinsein wurde immer größer.
Romy war, wie gesagt, gern allein, aber wie mochte es sich anfühlen, wenn Einsamkeit das Leben bestimmte? Wenn sie davon ausgehen müsste, vielleicht niemals mit einem Partner zusammenzuleben? Sie lehnte sich an den Türrahmen. Die Vorstellung, dass es nie einen besonderen Menschen in ihrem Leben geben sollte, dass sie den Rest ihres Lebens damit zubringen würde, von Ausgrabung zu Ausgrabung zu ziehen und sich ein Haus mit Fremden zu teilen oder sich allein eine Wohnung zu mieten – so eine Zukunft wollte sie sich lieber gar nicht erst ausmalen. Momentan machte ihr dieses Nomadenleben zwar noch großen Spaß, aber Romy war nicht sicher, ob das für immer ihren Vorstellungen entsprechen würde. Sie wollte glauben, dass da draußen ein Mann auf sie wartete, bei dem sie sich zu Hause fühlen würde. Es war doch nichts falsch an diesem Wunsch, oder? Letzten Endes wünschte sich das doch jeder. Veronica, Dermot, Darragh, Kathryn … keiner wollte allein sein.
Romy dachte an Keith. In den letzten Tagen hatte sie sich bemüht, weder an ihn noch an die letzte Dummheit zu denken, die sie begangen hatte. Erst dieser sogenannte Trostkuss, aber dass sie ihm dann ihr Herz ausgeschüttet, sich über ihre Familie beschwert und ihm ihre Liebe gestanden hatte, das war wirklich unglaublich dumm von ihr gewesen. Romy konnte nur hoffen, dass Keith dieses Geständnis nicht ernst genommen und so aufgefasst hatte, wie sie es eigentlich hatte verstanden haben wollen, nämlich als beiläufigen Kommentar (wie: »Mach’s gut!«), den man eben so dahinsagt, ohne sich viel dabei zu denken. Aber ihre Sorge
war groß, er könnte auf die Idee kommen, dass sie tatsächlich in ihn verliebt war. Sie war zwar fast sicher,
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