Und eines Tages kommt das Glück
generell sehr überheblich gewesen, als sie noch klein waren. Sie war ein Kind, das vor Selbstsicherheit strotzte, und sie hatte stets genau gewusst, was sie vom Leben wollte, ohne sich im Geringsten darüber bewusst zu sein, wie andere sie wahrnahmen. Mit ihrem wilden Haar, der olivfarbenen Haut und den lebhaften blauen Augen war sie auf eine burschikose, sportliche Art und Weise sehr hübsch. Neben Romy kam Kathryn sich brav und bieder vor, weil sie selbst eher der Typ Leseratte war. Kathryn blieb lieber im Haus bei ihren Büchern, statt auf Bäumen herumzuklettern.
Und weil sie ihre Nase immer in Bücher stecke, müsse sie auch eine Brille tragen, hatte Veronica ihrer Tochter erklärt. Irgendwann würde sie deshalb auch ein unansehnlicher Bücherwurm werden. Dabei war Veronica immer so stolz darauf gewesen, dass Kathryn, auch wenn sie eher ein dunkler Typ war wie Tom, ihr gutes Aussehen geerbt hatte – trotz der Brille. Natürlich stimmte es nicht, dass sie hässlich werden würde und vom vielen Lesen eine Brille tragen musste; Kathryn war schon immer kurzsichtig gewesen,
aber Veronica konnte ihre pauschalen, vollkommen unbegründeten Kommentare nun mal nicht lassen. Manchmal dachte Kathryn, dass sie nur deshalb so viel in irgendwelchen Nachschlagewerken schmökerte, weil sie herausfinden wollte, ob Veronica mit ihren Behauptungen recht hatte oder nicht. Und sie stellte sich die Frage, ob Tom – hätte er länger gelebt – sie wohl besser verstanden hätte als Veronica, die (ziemlich altmodisch, wie Kathryn fand) der Ansicht war, dass Frauen sich bescheiden mussten und nur über den Umweg einer Ehe mit einem reichen Mann Karriere machen konnten. Kathryn wusste nie, ob sie Veronica glauben sollte, wenn diese wieder einmal eine ihrer unsinnigen Behauptungen aufstellte. Immerhin war Tom nicht reich gewesen, als sie ihn geheiratet hatte. Und Dermot hatte überhaupt kein Geld. Manchmal fragte Kathryn sich sogar, ob Veronicas Bemerkungen über reiche Männer nicht in Wahrheit boshafte Seitenhiebe auf Dermot waren, die dieser jedoch weitgehend ignorierte. Sie wusste, dass Romy dachte, die Probleme zwischen Dermot und Veronica gingen alle auf seine Zeit am Golf zurück. Kathryns Gefühl nach hatte es diese Probleme jedoch schon lange vorher gegeben. Bisweilen überlegte sie sogar, ob Dermot und Veronica sich wohl überhaupt je geliebt hatten oder ob es nur eine leidenschaftliche Affäre gewesen war, die in eine unpassende Ehe mündete – auch wenn die Ehe trotzdem recht lange gehalten hatte.
Kathryn lauschte dem Freizeichen, während sie darauf wartete, dass jemand das Telefon abnahm. Wir sind das Paradebeispiel für eine dysfunktionale Familie, dachte sie. Wir sind nicht so wie die Familien, die man im Fernsehen sieht, wo jeder eine hübsche kleine Macke hat, man sich aber trotzdem schrecklich lieb hat. Wir sind einfach nur kaputt. Und niemand weiß, wer bei uns wen tatsächlich liebt. Falls einer von uns überhaupt jemanden lieben sollte.
»Hallo.«
»Hallo, Mam.«
»Na so was«, sagte Veronica. »Heute werde ich regelrecht überschwemmt von töchterlicher Zuwendung.«
»Ich wollte einfach wissen, ob Romy gut angekommen ist«, erklärte Kathryn. »Ich vermute, das soll heißen, ja.«
»Sie kam hier an wie ein falscher Fuffziger«, flötete Veronica, »absolut besorgt um mich. Sie hat mir eine nahrhafte Suppe eingeflößt und darauf bestanden, dass ich bald zu Bett gehe und mich schone.«
»Tatsächlich?« Kathryn klang überrascht.
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Veronica. »Aber sie ist hier.«
»Und deine Operation findet statt wie geplant?«
»Ja.« Veronica klang resigniert. »Ich wünschte, die Ärzte könnten mir eine Garantie geben, dass alles gut geht, aber sie drücken sich so verdammt vage aus. Wenn ich das alles durchmachen soll, nur um hinterher genauso dazustehen wie jetzt.«
»Es wird schon alles gut gehen«, beruhigte Kathryn sie.
»Woher willst du das wissen? Kennst du dich jetzt auch noch in Medizin aus?«
»Natürlich nicht«, sagte Kathryn. »Aber man muss doch optimistisch sein. Ich bin sicher, dass sie eine Operation nicht vorschlagen würden, wenn keine Aussicht auf Erfolg bestünde.«
»Hm.« Veronica klang zweifelnd. »Ich habe ihnen gesagt, dass die OP für mich nur dann der Mühe wert ist, wenn ich hinterher wieder meine Jimmy Choos tragen kann.«
Kathryn lachte herzhaft. Sie und ihre Mutter waren wie Tag und Nacht – anders in ihrem Gegensatz als
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