Und eines Tages kommt das Glück
auch jetzt noch nicht das Gefühl, dass es ihr zustand, Darraghs ehemaliges Zimmer zu betreten. Sie tat es trotzdem. Es war schließlich nicht mehr sein Zimmer, seit Jahren schon nicht mehr. Es war einfach nur ein Raum, der ebenfalls renoviert worden war, wie Romy sofort bemerkte, als sie die Tür aufstieß und sich verschiedenen Schattierungen von Ockerfarben und Braun gegenübersah. Auch Kathryns Zimmer war die Hand eines Innenarchitekten anzumerken; hier war der vorherrschende Farbton ein sanftes Rosé. Romy grinste. Kathryn war noch nie der Typ für Pastelltöne gewesen, ihre Schwester bevorzugte kräftige, reine Farben. Doch ihr Zimmer war das schönste im ganzen Haus, mit Blick hinaus in den großen Garten mit seinen Apfel-und Zwetschgenbäumen und mit bis zum Boden reichenden Terrassentüren, die auf einen kleinen Balkon hinausführten, der in der Abendsonne lag. Romy hatte Kathryn stets darum beneidet. Ihr eigenes Zimmer war zwar geräumig und verfügte noch dazu über ein größeres Badezimmer, hatte aber weder diesen Blick noch einen Balkon zu bieten.
Ich habe sie im Grunde ständig beneidet, dachte Romy. Darragh auch. Ich habe sie beide beneidet, auch wenn ich eigentlich nie so recht wusste, worum.
Aber jetzt nicht mehr. Jetzt ziehe ich mein eigenes Ding durch. Ich bin Romy Kilkenny, und man hat mir die Position einer Schnittleiterin in Australien angeboten, wo ich ein neues Leben begonnen habe und wohin ich eigentlich gehöre. In ein paar Wochen bin ich wieder dort, und dann wird alles wieder so, wie es sein soll.
Als es an der Tür klingelte, erschrak Romy so sehr, dass sie den Becher fallen ließ und ein paar Tropfen Tee auf den rosafarbenen Teppich spritzten.
»Mist, Mist, Mist«, schimpfte sie, während sie die Treppe hinuntereilte. Typisch für sie, das Haus zu verwüsten, sobald Veronica ihr den Rücken kehrte. Dabei fiel ihr wieder ein, wie oft Veronica ihr als Kind vorgeworfen hatte, hoffnungslos chaotisch zu sein und zwei linke Hände zu haben.
Darragh stand auf der Türschwelle, den Schlüssel in der Hand.
»Ich dachte, du bist nicht da«, sagte er, als er an ihr vorbei ins Haus ging.
»Ich war oben.«
»Wie läuft’s?«
Romy sah Darragh seit ihrer Ankunft heute das erste Mal. Er hatte zwar am Tag danach kurz vorbeigeschaut, aber sie war beim Friseur gewesen, der Termin hatte sich verzögert, und bis Romy endlich zu Hause eintraf, war Darragh schon wieder fort gewesen.
»Bestens«, antwortete sie.
Er sieht noch so gut aus wie früher, dachte sie. Darragh hatte immer gut ausgesehen, und Romy erinnerte sich, dass in seiner Teenagerzeit das Haus geradezu belagert gewesen war von jungen Mädchen, die hofften, von ihm bemerkt zu werden. Darragh war zwar nur durchschnittlich groß, aber er hatte markante, ausdrucksstarke Gesichtszüge und strahlend dunkelblaue Augen.
Sein Haar war immer pechschwarz gewesen, doch jetzt war es leicht grau meliert. Wie unfair, dachte Romy, dass Männer sogar mit grauen Haaren noch gut aussehen. Es passte zu Darragh und verlieh ihm einen Anstrich von Seriosität, der ihm bisher gefehlt hatte. Jetzt sah er mehr nach dem geschäftsführenden Direktor aus, der er war.
»Wie geht es Mam? Hat sie sich schon eingewöhnt im Krankenhaus?«
»Bestens«, wiederholte Romy.
Darragh musterte sie von Kopf bis Fuß, und Romy spürte, wie sie errötete. Ihr elf Jahre älterer Halbbruder – in ihren Augen damals fast schon ein Erwachsener – hatte sie immer ein wenig eingeschüchtert. Und die herablassende Art, mit der er sie behandelt hatte, hatte dieses Gefühl noch verstärkt. Das heißt, wenn sie ihn nicht gerade hasste, natürlich. Und sie hatte ihn oft gehasst, weil er sich Dermot gegenüber so abscheulich benommen hatte. Nicht immer offen gemein, aber trotzdem nicht sehr freundlich.
Das hatte sie auch einmal zu ihrem Vater gesagt. Dermot hatte nur gegrinst und gemeint, dass es schwierig sei mit zwei Alphamännern im Haus, dass es ihm aber nichts ausmache. Romy hatte nicht verstanden, was er damit meinte, und hatte Kathryn gefragt, die es ihr erklärte. Es gehe darum, hatte sie gesagt, dass beide der Boss sein wollten. Beide wollten, dass Veronica sie am meisten liebte.
Nun, Darragh hat es geschafft, als Alphatier den längeren Atem zu haben, dachte Romy jetzt. Er hatte Dermot und Larry überdauert, und Veronica vergötterte ihn – ihren einzigen Sohn und Ältesten. Der Sohn, der nichts falsch machen konnte.
»Wie bitte?« In Erinnerungen verloren,
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