Und eines Tages kommt das Glück
gewesen. Zumindest nicht für sie. Ein wenig merkwürdig war das wahrscheinlich schon.
Romy aß den Keks, nahm den Becher und ging damit ins Wohnzimmer. Als sie noch hier gewohnt hatte, war dies der Raum gewesen, in dem sich die Familie den größten Teil des Tages aufgehalten hatte, meistens ein wenig unordentlich und voller Schulsachen, Spielzeug oder achtlos hingeworfener Pullover und Jacken – sehr zu Veronicas ständigem Leidwesen. Jetzt war das Zimmer in sanften, neutralen Farben gestrichen, und alles stand ordentlich an seinem Platz. Es war das Wohnzimmer einer erwachsenen Frau, edel und stilvoll.
Romy fragte sich, wie Veronica es wohl hielt, wenn Giselle und Mimi zu Besuch kamen. War sie in permanenter Panik, dass die Dreijährige Flecken auf den Wänden oder dem Teppich hinterlassen könnte? Vielleicht war Mimi ja ein Kind, das nie dreckige Hände hatte, nie mit Gegenständen warf und generell nie Chaos verursachte. Vielleicht war sie ein Kind, wie Veronica es selbst gern gehabt hätte.
Aus dem Zimmer waren auch alle Spuren von Veronicas Ehemännern getilgt worden. Als Romy noch zu Hause gewohnt hatte, hatte auf dem Sideboard ein Foto der Familie in einem Silberrahmen gestanden. Ein Freund von Dermot hatte es aufgenommen. Es zeigte ihren Vater und Veronica neben dem blühenden Apfelbaum im Garten, während Darragh, Kathryn und Romy zu ihren Füßen saßen. Ein unvoreingenommener Betrachter des Fotos hätte annehmen können, eine glückliche Familie vor sich zu sehen, aber Romy erinnerte sich genau, wie erbittert sich Darragh damals dagegen gewehrt hatte, weil er nicht mit Dermot zusammen
auf einem blöden Foto erscheinen wollte. Veronica hatte ihn bestechen müssen (womit, entzog sich leider Romys Kenntnis). Auch mit Kathryn hatte es Streit gegeben. Veronica hatte gewollt, dass sie ihre Brille abnahm, aber Kathryn hatte sich geweigert, und deswegen hatte man hinter dem breiten Gestell und den langen Ponyfransen kaum etwas von ihrem Gesicht gesehen. Und auch Romy hatte mit Veronica gestritten, weil sie ihre zerrissene Jeans gegen ein hübsches Kleid hätte eintauschen sollen. Wie Kathryn hatte auch sie sich geweigert.
Die arme Veronica, dachte Romy. Wie sehr hat sie sich Töchter gewünscht, die ähnliche Interessen haben, und dann hat sie sich mit mir und Kathryn abfinden müssen. Ihr einziger Trost ist und bleibt Giselle!
Romy setzte ihren Rundgang durch das Haus fort. Das Arbeitszimmer, das von Dermot (und zuvor von Tom) benutzt worden war, wahrscheinlich auch von Larry, strahlte mit dem Eichenschreibtisch und den nüchternen Bücherregalen noch immer eine männliche Atmosphäre aus. Das Esszimmer war wie das Wohnzimmer einer gründlichen Umgestaltung unterzogen worden und nun modern und minimalistisch eingerichtet. Der gemütlichste Raum im Erdgeschoss war das Fernsehzimmer und der Plasmabildschirm der größte Monitor, den Romy je in ihrem Leben gesehen hatte. Alle diese Veränderungen mussten in den letzten zwei Jahren erfolgt sein, denn als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatte es noch anders ausgesehen – nicht so elegant und stilvoll wie jetzt.
»Der Firma Dolan Component Manufacturers scheint es wirklich gut zu gehen«, murmelte Romy. »Sieht so aus, als würde Tom Dolan als der erfolgreichste von Veronicas Ehemännern noch immer alle seine Nachfolger in den Schatten stellen. Ihn scheint wohl niemand ersetzen zu können, weder in Veronicas Herzen noch in ihrem Portemonnaie.«
Romy trank einen Schluck Tee, bevor sie über die Treppe nach
oben ging. Nach ihrem Rundgang würde sie Veronicas Sachen ins Erdgeschoss bringen und sich dabei an ihr Versprechen halten, nicht zu schnüffeln. Doch zuvor wollte sie sich noch im restlichen Haus umsehen. In Veronicas Gegenwart war ihr dies nicht möglich gewesen, und wenn sie es sich genau überlegte, dann kannte sie das Haus eigentlich kaum. Schon als kleines Kind hatte sie eine gewisse Scheu davor gehabt, verschlossene Türen zu öffnen. Die meiste Zeit hatte Romy entweder in ihrem eigenen Zimmer verbracht, in Dermots Arbeitszimmer Schularbeiten gemacht oder draußen gespielt. Weder Darragh noch Kathryn hatten sie gern in ihren Zimmern gesehen, und noch seltener hatte sie das Zimmer von Dermot und Veronica betreten. Es war, als wären große Teile des Hauses tabu für sie gewesen, auch wenn sie sicher jedes Recht dazu gehabt hätte, überall hinzugehen, wie es ihr gerade passte. Aber dieses Gefühl hatte sie eigentlich nie gehabt.
Romy hatte
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