Und eines Tages kommt das Glück
Schreibtisch ist höchst interessant und wird der Firma viel Geld einbringen, sobald ich die Zahlen geknackt habe. Ich habe Erfolg. Ich weiß mich durchzusetzen in der härtesten Stadt der Welt. Ich verdiene viel Geld.
Kathryn schloss die Augen. Genau das war das Problem. Die gegenwärtige Untersuchung würde viel Geld einbringen, falls es ihr gelang, die Zahlen zu knacken. Doch im Moment konnte sie sich noch so sehr einreden, dass sie erfolgreich war – ihr fiel einfach nicht mehr ein, wie man die Sache anging. Ihr Selbstvertrauen tendierte gegen null, und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte, da sie genau wusste, dass sie nur dann funktionierte, wenn sie sich ihrer selbst sicher war. Normalerweise strotzte sie vor Selbstbewusstsein, aber im Moment nagten die größten Selbstzweifel an ihr.
Das war schon damals so gewesen, als sie noch jünger war und verzweifelt versucht hatte, es Veronica recht zu machen, auch wenn ihre Mutter ihre Bemühungen nie zu bemerken schien und sie ihr tatsächlich nie etwas recht machen konnte. Es war, als würden Mutter und Tochter in Parallelwelten leben. Wenn Kathryn mit ihren Prüfungsergebnissen aus der Schule nach Hause kam, warf Veronica nur einen flüchtigen Blick auf die guten Noten,
beteuerte, dass sie sehr stolz auf sie sei, und schickte sie dann sofort zum Friseur, damit sie sich die Haare schneiden ließ. Oder sie lud sie zu einem Einkaufsbummel ein, um für sie beide etwas Hübsches zu kaufen. Kathryn wusste zwar, dass die Friseurbesuche und die Shoppingtouren als Belohnung gedacht waren, aber das war nicht die Art von Anerkennung, die sie sich wünschte. Sie wollte, dass ihre Mutter an sie glaubte, endlich anerkannte, dass sie klüger war als Darragh, und folglich in ihrem Sohn nicht mehr den hellsten Kopf der Familie sah. Das war er nämlich ganz und gar nicht. Darragh war ein Arbeitstier, das ja, aber kein Genie. Doch Veronica begriff nichts. Und so reagierte Kathryn stets schroff und abweisend, wenn Veronica mal wieder neue Kleider oder einen neuen Haarschnitt vorschlug, und beschloss, niemals im Leben etwas mit Mode oder Äußerlichkeiten zu tun haben zu wollen. Sie wusste genau, dass es Veronica das Herz brach, wenn sie den ganzen Tag in formlosen Jeans und abgetragenen T-Shirts herumlief, während ihr die langen, dunklen Haarsträhnen in ihr hübsches Gesicht fielen, von dem man nichts mehr sah. Jedes Mal, wenn Veronica sie zu einem neuen Haarschnitt zu überreden versuchte oder darauf anspielte, dass ein netter Rock ihr bestimmt gut stünde, erwiderte Kathryn überheblich, dass ihre zukünftige Karriere weitaus wichtiger sei als ihr Aussehen oder ihre Klamotten. Veronica fiel daraufhin meist nichts Besseres ein, als ihr zu erklären, dass man auch als Model (und die trugen immer schöne Kleider) Karriere machen könne, was Kathryn wiederum nur ein missbilligendes Schnauben entlockte.
Manchmal fragte Kathryn sich, wie viele junge Mädchen rebellierten, indem sie sich in irgendeine Form des Perfektionismus flüchteten. Romys Rebellion ein paar Jahre später schien ihr hingegen völlig normal zu sein – ihre Entscheidung, etwas anderes mit ihrem Leben anfangen zu wollen, sich zu befreien von der Vorstellung, dass man nur in einem Büro und hinter einem Schreibtisch sitzend wertvolle Arbeit leisten könne. Veronica hatte
Romy vorgeworfen, dass Tom schließlich hart gearbeitet habe, damit keines seiner Kinder sich einmal die Hände schmutzig machen müsse, um sein Geld zu verdienen. Toms Wünsche hätten nichts mit den ihren zu tun, hatte Romy darauf erwidert, und außerdem gefiele ihr die Vorstellung, Schmutz unter den Fingernägeln zu haben. Wenn man natürlich so lange und vollkommen unpraktische Nägel wie Veronica habe (Kathryn konnte sich noch deutlich an den Sarkasmus in Romys Stimme erinnern), dann sei das selbstverständlich ein großes Problem.
Wir waren keine netten Kinder, dachte Kathryn. Und eigentlich weiß ich nicht so recht, warum, den trotz ihrer Fehler hat Mam für uns getan, was sie tun konnte. Uns hat nie etwas gefehlt, trotzdem schienen wir nie das zu haben, was wir wirklich haben wollten. Aber im Grunde wussten wir auch nie, was wir wollten. Vielleicht wissen wir das heute noch nicht. Ich garantiert nicht.
Nur als ich geheiratet habe, war ich mir sicher.
Kathryn drückte die Stirn an das Fenster.
Zuerst wollte ich ein tolles Abschlussexamen hinlegen und anschließend eine glorreiche Karriere machen; dann habe ich mir
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