Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und erlose uns von dem Bosen

Titel: Und erlose uns von dem Bosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
Vom Netzwerk:
Keine Farbe, Abdeckplanen oder Aluminiumleitern. Sprengstoff. Eine Kombination von C4 und Nitrat, das an einem strategischen Punkt, nahe der Manhattanseite des Flusses, ins Fachwerk angebracht werden sollte.

    Capistran kannte inzwischen die Queensboro in- und auswendig. Er blickte zu der fünfundneunzig Jahre alten Brücke hinauf. Eine Auslegerbrücke mit Stahltragwerk und zwei Decks. Die einzige der vier East-River-Brücken, die keine Hängebrücke war. Das hieß, dass man dafür eine spezielle Bombe brauchte, eine, wie er sie rein zufällig hinten im Van hatte.
    Da ist noch etwas , dachte Capistran unwillkürlich, als er mit seinen Compadres die Ausrüstung zur Brücke schleppte. New York City. Die East Side. All diese aufgeblasenen Big-Business-Wichser, diese blonden Prinzessinnen, die herumstolzierten, als gehöre ihnen die Welt. Plötzlich pfiff er einen Song, der ihm ziemlich komisch vorkam. »The 59th Street Bridge Song (Feelin’ Groovy)« von Simon und Garfunkel. Die beiden hielt er ebenfalls für typische New-York-City-Arschlöcher.
    Die letzten Tage hatte Capistran bis in die frühen Morgenstunden geschuftet, zusammen mit zwei Gesinnungsgenossen, Studenten an der Stony Brook University, draußen auf Long Island, und angehende Ingenieure. Der eine war ein blitzgescheiter Junge aus dem Iran, der andere kam aus Afghanistan. Sie geilten sich an der Ironie der Situation auf: Studenten, die in New York studierten, halfen, New York in die Luft zu jagen. Land der beschissenen Freiheit, richtig? Sie nannten ihr Team das Manhattan Project. Noch ein Insider-Scherz.
    Anfangs hatten sie an eine ANFO gedacht, ein Bombentyp, der mit Sicherheit einen Krater in eine Straße riss, aber es war unwahrscheinlich, dass man damit eine so große Brücke wie die Queensboro in die Luft jagen könnte. Die jungen Uni-Genies erklärten Capistran, er könne selbst sehen, welchen Schaden eine ANFO anrichten konnte, wenn er einen Feuerwerkskracher auf die Straße warf. Oder sich das vorstellte. Die
Explosion wurde charakterisiert als »feige Kräfte, welche sich immer den Weg des geringsten Widerstands suchten«. In anderen Worten, diese Bombe würde ein Loch in die Straße reißen, aber die wahre destruktive Kraft würde nach oben und seitlich in der Luft verpuffen.
    Heute würde das nicht genügen. Viel zu harmlos. Nicht mal annähernd das, was gewünscht wurde.
    Dann kamen die teuflisch cleveren Studenten auf eine viel bessere Idee, die Brücke zu sprengen. Sie erklärten Capistran, wie und wo man mehrere kleinere Sprengladungen an unterschiedlichen Punkten des Fundaments anbringen müsse. Das Ganze ähnelte dem Vorgehen von Abrissfirmen, die alte Gebäude zum Einsturz brachten. Diese Methode funktionierte fantastisch.
    Da Capistran absolut kein Interesse daran hatte, erwischt zu werden, hatte er überlegt, Taucher in den East River zu schicken, um die Sprengladungen am Tragwerk zu befestigen. Er selbst hatte die Brücke mehrmals besichtigt. Zu seiner Überraschung gab es praktisch keine Sicherheitsmaßnahmen.
    Und genauso war es an diesem Morgen. Capistran ging mit seinen beiden Helfern auf den unteren Streben der Queensboro Bridge dahin, und niemand sagte auch nur Buh zu ihnen.
    Aus der Entfernung ließ das reich geschmückte, silbrig gestrichene Tragwerk aus Stahl, die Kreuzblumen der alten Brücke diese fast filigran wirken. Aus der Nähe sah man die kraftvolle Struktur. Die Nieten im massiven Tragwerk waren so groß wie die Kniescheiben eines Mannes.
    Es klang verrückt, aber es würde klappen – sein Stück würde funktionieren.
    Zuweilen fragte er sich, weshalb er auf alles so sauer geworden war, so bitter und hasserfüllt. Zum Teufel, vor Jahren war er in der Marineinfanterie Teil einer Rettungsmannschaft
gewesen, die abgeschossene Piloten wie Scott O’Grady in Bosnien rausgeholt hatte. Na schön, jetzt war er kein Held mehr. Er war nur irgendein Kapitalist, der in diesem System arbeitete. Diese Erklärung war ehrlicher, als die meisten Menschen glauben würden.
    Als Capistran hinaus auf das Tragwerk ging, summte er unwillkürlich vor sich. Dann sang er die Worte: »Groovy. Feeling very groovy.«

55
    Es geschah etwas ausgesprochen Seltsames, Rätselhaftes.
    Das Ultimatum verstrich – und nichts passierte.
    Keine Nachricht vom Wolf, keine Anschläge. Nichts. Schweigen. Es war

Weitere Kostenlose Bücher