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Und erlose uns von dem Bosen

Titel: Und erlose uns von dem Bosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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Knopfdruck, alle Arbeiten mit den Tauen und Blöcken machen die Männer selbst. Deshalb
nennt man diese Fischer auch Wassermänner«, erklärte ich wie Nana in früheren Jahren ihren Schülern.
    Dann segelten wir auf der Mary Merchant zweieinhalb Stunden in die Vergangenheit.
    Der Kapitän und sein Maat zeigten uns, wie man ein Segel setzt. Schon bald hatten wir eine Brise eingefangen und zischten dahin. Die Wellen schlugen rhythmisch gegen den Schiffsrumpf. Was für ein Nachmittag! Wir spähten zum zwanzig Meter hohen Mast hinauf, der aus einem Baumstamm gefertigt worden war, der aus Oregon stammte. Der Geruch der Salzluft, der des Leinsamenöls und den Resten von Austernschalen! Die Nähe mit meinen beiden ältesten Kindern, der Blick von Liebe und Vertrauen in ihren Augen – jedenfalls meistens.
    Wir kamen an Fichtenwäldern vorbei und Feldern, wo Pächter Mais und Sojabohnen züchteten, an großen weißen Herrensitzen mit Säulen, welche einst Plantagen gewesen waren. Ich hatte fast das Gefühl, in einem anderen Jahrhundert zu sein. Es war eine herrliche Ruhepause, die ich dringend nötig hatte. Nur selten wanderten meine Gedanken zu meiner Arbeit. Ich verscheuchte sie sehr schnell.
    Ich hörte nur mit halbem Ohr, wie der Kapitän erklärte, dass »nur Boote unter Segeln« Austern mit Schleppnetzen einholen können. Allerdings gestattete man zweimal pro Woche Besankuttern mit Motor, auf die Bucht hinauszufahren. Ich nehme an, das war eine clevere Lösung, um den Wassermännern Arbeit zu lassen, gleichzeitig aber um den Austernbestand zu schützen.
    Was für ein wunderbarer Tag – als das Boot nach Steuerbord krängte, das Hauptsegel sich prall füllte, der Klüver knatterte, blickten Jannie, Damon und ich in die sinkende Sonne. Und uns wurde – zumindest für einen kurzen Moment – bewusst,
dass eigentlich das Leben so sein sollte und man derartige Momente hochschätzen und festhalten musste.
    Â»Der schönste Tag meines Lebens«, sagte Jannie. »Und ich übertreibe nur ein klitzekleines bisschen.«
    Â»Gilt auch für mich«, sagte ich. »Und ich übertreibe überhaupt nicht.«

91
    Als wir am frühen Abend heimkehrten, parkte ein alter verbeulter weißer Van vor dem Haus. Ich erkannte sofort das leuchtend grüne Logo auf der Tür: HÄUSLICHER GESUNDHEITSDIENST. Was hatte das zu bedeuten? Warum war Dr. Coles hier?
    Plötzlich war ich nervös. War Nana etwas zugestoßen, während ich mit den Kindern weg war? In letzter Zeit musste ich immer öfter an ihren schwachen Gesundheitszustand denken. Es war eine Tatsache, dass sie inzwischen Mitte achtzig war, obwohl sie ihr genaues Alter nicht preisgeben wollte, lieber log sie. Ich stieg schnell aus und lief vor den Kindern die Treppenstufen hinauf.
    Â»Ich bin hier mit Kayla«, rief Nana, als ich die Vordertür aufschloss. Damon und Jannie drängten sich neben mir hinein. »Wir halten nur ein Schwätzchen, Alex. Kein Grund zur Sorge. Lass dir Zeit.«
    Â»Wer macht sich hier Sorgen?«, meinte ich leichthin und trat ins Wohnzimmer, wo die beiden gemütlich auf dem Sofa saßen und »ein Schwätzchen hielten«.
    Â»Du, alter Schwarzseher. Du hast draußen den Wagen vom Gesundheitsdienst gesehen – und was hast du gedacht? Krankheit «, sagte Nana.
    Sie und Kayla lachten fröhlich. Ich musste ebenfalls lächeln – über mich selbst. Ich protestierte schwach. »Nie im Leben.«
    Â»Und warum bist du die Stufen raufgerannt, als würden deine Hosen in Flammen stehen? Ach, Alex, vergiss es.« Nana lachte wieder.

    Dann winkte sie ab, als wolle sie unerwünschte negative Gedanken aus dem Raum verscheuchen. »Komm, setz dich für eine oder zwei Minuten zu uns. Erzähl uns alles. Wie war’s in St. Michael? Hat es sich sehr verändert?«
    Â»Nein, ich glaube, St. Michael ist noch ziemlich so wie vor hundert Jahren.«
    Â»Und das ist gut so!«, erklärte Nana. »Ich danke Gott auch für kleine Gaben.«
    Ich ging hinüber und küsste Kayla auf die Wange. Sie hatte Nana geholfen, als diese vor einiger Zeit krank gewesen war, und nun kam sie regelmäßig vorbei. Ich kannte Kayla schon aus meiner Jugend. Wir waren zusammen in dieser Nachbarschaft aufgewachsen. Sie war eine von uns, bis sie fortging und sich weiterbildete. Aber sie war zurückgekommen, um das Gute

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