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Und erlose uns von dem Bosen

Titel: Und erlose uns von dem Bosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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machen. Ich nehme an, Christine ist das nicht gelungen,
    Â»Du bist ja so ein großer Junge«, sagte ich und tat völlig verblüfft. Ich war stolz und liebte meinen Sohn. »Wie alt bist du jetzt? Sechs? Acht? Zwölf Jahre alt?«, fragte ich.
    Â»Ich bin zwei, beinahe drei«, sagte er und lachte über meinen Scherz. Er versteht mich, jedenfalls sieht es so aus.
    Â»Er hat schon den ganzen Morgen davon geredet, dass er dich heute sieht, Alex. Pausenlos hat er gesagt: ›Heute Daddy-Tag‹«, sagte Christine. »Amüsiert euch gut, ihr beiden.« Dann verblüffte sie mich. Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Wange. Das haute mich um. Ich mag ja vorsichtig sein, vielleicht sogar unter leichtem Verfolgungswahn leiden, aber ich bin nicht immun. Erst Kayla Coles – und jetzt Christine. Womöglich sah ich so aus, als hätte ich Streicheleinheiten dringend nötig. Das war es wohl.
    Alex und ich amüsierten uns in der Tat. Ich tat so, als sei Seattle meine Heimatstadt. Zuerst fuhren wir in den Stadtteil Fremont, wo ich vor einigen Jahren einen pensionierten Kollegen besucht hatte. Fremont war voll von alten Häusern, eleganten Geschäften für Kleidung und Möbel. Es hatte einen besonderen Charakter, wenn man dieses Wort auf Architektur und Stil anwenden kann. Viele Menschen denken so, ich war da nicht so sicher.
    Klein Alex und ich gönnten uns dort in der Touchstone Bäckerei ein weiches Brötchen mit Butter und Brombeermarmelade. Dann machten wir einen Spaziergang und sahen uns ganz
genau die sechzehn Meter fünfzig hohe Rakete an, die an ein Geschäft angebaut war. Dann kaufte ich Alex einen bunten Drachen, und wir ließen ihn probeweise im Gas Works Park steigen. Von dort aus hatte man einen herrlichen Blick auf den Lake Union und das Zentrum von Seattle. Seattle hat sehr viele Grünanlagen. Das ist ein Grund, weshalb ich die Stadt so mag. Ich fragte mich, ob ich je hier leben könnte. Dann stellte ich mir vor, dass das durchaus möglich wäre. Warum dachte ich darüber nach? Weil Christine mir ein Küsschen auf die Wange gegeben hatte? War ich so ausgehungert nach Liebe? Wie erbärmlich.
    Wir gingen weiter auf Erkundungstour. Wir bestaunten im Sculpture Garden den Fremont Troll, eine riesige Statue, die mich an Joe Cocker erinnerte, der einen VW-Käfer in einer Hand hielt. Schließlich aßen wir ziemlich spät zu Mittag – selbstverständlich rein biologisch. Gemüsesalat und ein Ezekiel-Brot mit Erdnussbutter und Marmelade. Man musste sich eben den Sitten und Gebräuchen der Einheimischen anpassen.
    Â»Das Leben hier ist ziemlich gut, was, Kumpel?«, sagte ich, während wir uns voll stopften. »Ja, so ist es am besten, mein Kleiner.«
    Alex junior nickte. Dann schaute er mich mit großen unschuldigen Augen an und fragte: »Wann kommst du nach Hause, Daddy?«
    O Mannomann. Wann kam ich nach Hause?

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    Christine hatte mich gebeten, Alex vor sechs Uhr zurückzubringen. Ich hielt mein Versprechen. Ich bin ja verantwortungsbewusst. Typisch Alex Cross. Manchmal macht mich das verrückt. Sie wartete auf uns auf der Veranda, in einem blauen Kleid und Schuhen mit hohen Absätzen. Sie meisterte die Situation hervorragend. Ich hatte allerdings nichts anderes von ihr erwartet. Als sie uns sah, lächelte sie uns warm an. Alex schrie: »Mami!«, rannte zu ihr und schmiegte sich an ihre langen Beine.
    Â»Ihr seht aus, als hättet ihr Spaß gehabt«, sagte sie und streichelte dem Jungen den Kopf. »Das freut mich. Das habe ich gewusst. Alex, Daddy muss jetzt zurück nach Washington, wo er wohnt, und du und ich fahren zum Abendessen zu Theo.«
    Die Augen meines kleinen Sohns füllten sich mit Tränen. »Ich will nicht, dass Daddy weggeht«, protestierte er.
    Â»Ich weiß, aber er muss, Schätzchen. Daddy muss wieder arbeiten. Gib ihm noch einen Kuss. Er besucht uns wieder.«
    Â»Ja, natürlich. Ich komme bald wieder«, sagte ich und fragte mich, wer Theo war. »Ich besuche dich ganz oft.«
    Alex lief zu mir. Wie schön, ihn in den Armen zu halten. Am liebsten hätte ich ihn nie mehr losgelassen. Wie schön, zu spüren, wie sein kleines Herz klopfte. Ich wollte aber nicht, dass er den Trennungsschmerz fühlte – wie ich.
    Â»Ich komme ganz bald wieder«, versprach ich noch einmal. »Sobald ich kann. Wachse nur nicht zu schnell, wenn ich nicht

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