UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
als er dich damals im Stich gelassen hat.“
Im „Celesta’s“ waren gerade die letzten Gäste gegangen, als Rosas Handy piepste. Noch ehe sie die SMS ihres Vaters gelesen hatte, wusste sie, dass etwas passiert sein musste. Es war kurz vor Mitternacht, und normalerweise schlief ihr Vater um diese Zeit längst. Dann las sie die Nachricht: Joey verschwun den.
Nur das, sonst nichts.
Ihre Hände zitterten, als sie ihm per SMS antwortete. „Ich gehe“, rief sie Vince zu. „Ich muss zu meinem Vater.“
Vince, der gerade einen Servierwagen in die Küche schob, blieb stehen. „Ist alles in Ordnung mit ihm?“
„Ich glaube schon, ja.“ Sie legte sich den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter und begann dann, nach ihrem Schlüssel zu kramen. „Vergiss nicht, die Zapfhähne in der Bar sauber zu machen. Und häng ein Schloss vor den Müllcontainer. Die Waschbären sind derzeit eine ziemliche Plage und …“
„Hallo? Ich bin’s, Vince“, erinnerte er sie und wedelte mit der Hand vor ihren Augen hin und her. „Ich weiß das alles, okay? Geh einfach.“
Sie biss sich auf die Lippen, nickte ihm zu und stürmte hinaus. Als sie dann mit offenem Verdeck durch die Sommernacht raste, bemerkte sie weder den Sternenhimmel über ihr, noch fiel ihr auf, wie kalt es war. Sie dachte nur an Joey. Wo, um alles in der Welt, steckte er?
Viele Teenager hingen gerne auf dem Gelände des Drivein-Kinos in der White Rock Road herum. Dort war zwar seit 1989 kein Film mehr gezeigt worden, doch auf dem verlassenen Parkplatz wurden gern improvisierte Partys gefeiert, wobei die Kids hin und wieder Steine und Bierflaschen und gelegentlich auch mal die unvermeidliche Farbdose auf die Leinwand warfen. Es war vielleicht nicht gerade ein vornehmes Plätzchen, doch keines, wo es für Joey irgendwie gefährlich gewesen wäre. Dann gab es noch die Videothek und den Stadtpark, wo er stecken könnte. Oder er war mit irgendeinem Kumpel mit nach Hause gegangen. Sie überlegte angestrengt, wo sie ihn als Erstes suchen sollte. Doch dafür, stellte sie schuldbewusst fest, wusste sie viel zu wenig über ihren Neffen. Sie musste unbedingt mehr Zeit mit ihm verbringen, dachte sie. Das Restaurant hatte sie viel zu sehr in Beschlag genommen.
Sie stellte ihren Wagen in der Einfahrt vor dem Haus ihres Vaters ab, der bereits in der Tür auf sie wartete. Er war sichtlich in großer Sorge und schien in der kurzen Zeit um mindestens zehn Jahre gealtert.
„Ich bin mitten in der Nacht aufgestanden“, sagte er. „Ich musste ins Bad. Dann habe ich nach Joey gesehen – du weißt schon, so wie ich es bei dir und deinen Brüdern immer gemacht habe, als ihr klein wart.“
Rosa nickte. Sie erinnerte sich gut daran, wie geborgen sie sich immer gefühlt hatte, wenn Paps seinen Kopf durch den Türspalt geschoben hatte und dann mit einem leisen, zufriedenen Seufzen wieder in sein Bett gegangen war.
„Hast du überall nachgesehen?“
„Ich habe das ganze Haus abgesucht. Seine Jacke ist nicht da. Das Fahrrad auch nicht. Ich rufe jetzt den Sheriff.“
„Warte noch kurz.“ Sie lief nach oben in Joeys Zimmer. Beim Anblick des leeren Bettes, dessen Decke zurückgeschlagen war, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Paps hatte ihn offensichtlich überall gesucht. „Verdammt, Joey“, fluchte sie leise.
„Er ist anscheinend ziemlich überstürzt aufgebrochen“,sagte sie zu ihrem Vater, der ihr nachgegangen war. Sie zeigte auf Joeys Laptop, der aufgeklappt auf der Kommode stand und auf dessen Monitor ein „Raumschiff Enterprise“-Bildschirmschoner flackerte. „Sonst hätte er sein Notebook mitge…“ Sie brach ab. Ihr war plötzlich etwas eingefallen. „Ist dieses alte Fernrohr, an dem er gebastelt hat, noch in der Werkstatt?“
Paps eilte die Treppe wieder hinunter. „Ich habe in der Garage nur nachgesehen, ob sein Fahrrad da ist. An das Fernrohr habe ich überhaupt nicht gedacht.“ Er ging vor in die Garage, in der immer viel zu viel Gerümpel lag, als dass je auch noch ein einziges Auto hineingepasst hätte, und dann weiter in die kleine Werkstatt. Es roch nach altem Schmieröl, Rasendünger und Moder. Teile eines alten Automotors lagen ebenso herum wie Spulen diverser Angelruten, Säcke mit Blumenerde und eine Schneckenfalle. An einem Haken an der Wand baumelten rostige Fahrradketten.
„Es ist weg“, stellte Paps fest. „Dieses kleine parte di mer da hat sich zum Sternegucken weggeschlichen. Aber warum heimlich? Warum hat er es mir
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