UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
beschwichtigend. „Es gehört mir nicht, und ich möchte nicht, dass es kaputtgeht.“
„Fallen lassen, habe ich gesagt“
„Aber …“
„Hörst du schlecht?“, fuhr der Sheriff ihn an.
Nun reichte es Joey. „Nein“, sagte er und legte das Teleskop vorsichtig auf den Boden, statt es fallen zu lassen. „Nein, ich bin nicht taub.“ Aber vielleicht der Sheriff … „Ich will es doch bloß einpacken.“
„Bitte“, fügte Whitney hinzu.
„Okay, bitte“, wiederholte Joey.
Der Sheriff zögerte. Schließlich nickte er kurz. Joey kniete sich hin und legte die Teile des Fernrohrs in den länglichen, altmodischen Koffer, der innen mit Samt ausgeschlagen war.
Wenigstens stecke ich nicht in Schwierigkeiten, dachte er. Nach dem Abendessen hatte er Grandpa gesagt, dass er noch weggehen würde, und Grandpa hatte genickt. Joey hatte das als Zustimmung aufgefasst. Und selbst wenn sein Großvater es nicht erlaubt hätte – er schlief immer tief und fest und er, tja, er hörte nun mal nichts. Joey war den ganzen Sommer gekommen und gegangen, wie er gerade Lust gehabt hatte.
Und auch der heutige Abend war im Grunde kein Problem, dachte Joey. Er würde jetzt brav mit dem Sheriff mitgehen, sich dann höflich verabschieden und sich zurück in sein Zimmer schleichen, als wäre nichts geschehen.
Sein Plan wurde allerdings mit einem Schlag zunichtegemacht, als sie am Fuße des Hügels angekommen waren. Denn neben dem Auto des Sheriffs standen ein kleines Cabrio und zwei Menschen, die er nur allzu gut kannte.
Tante Rosa kam ihm bereits entgegen. „Du steckst in Riesenschwierigkeiten, das kann ich dir versichern.“
Joey schluckte.
Dann ging alles Schlag auf Schlag. Seine Tante schickte Grandpa eine SMS, dass seinem Enkel nichts passiert war, und Alex sagte ihm, dass er sein Fahrrad und das von Whitney absperren sollte. Er würde die Räder morgen früh holen müssen.
„Das nehme ich mit“, sagte der Sheriff und griff nach dem Teleskop.
„Nicht nötig.“ Alex nahm es ihm aus der Hand. „Es hat mal mir gehört, und ich habe es dem Jungen geschenkt.“
Mehr war Joey in diesem Augenblick also nicht. Irgendein Junge. Ein Punk. Noch vor ein paar Minuten war er sich wie der glücklichste Mann auf Erden vorgekommen – nichts als die Sterne über ihm und das Mädchen neben sich, das er gerade küssen wollte.
Alex legte das Teleskop in den Kofferraum. Joey bezweifelte, dass er es jemals wieder zu Gesicht bekommen würde.
Doch es kam noch schlimmer für ihn. Dann nämlich, als er sich mit Whitney hinten in das Polizeiauto setzen musste, wo man durch ein Gitter vom Sheriff getrennt war. Er kam sich vor wie in einem Käfig. Außerdem gab es keine Griffe an den Türen. Joey hatte bisher nicht gewusst, dass Polizeiautos richtige kleine Zellen waren.
„Danke, Sean“, sagte Tante Rosa.
Auch das noch, dachte Joey erschrocken. Per Du mit dem strengen Gesetzeshüter …
„Keine Ursache. Hin und wieder übernehme ich gern eine Nachtschicht. So bleibt man mit der Kundschaft in Kontakt.“
Man hatte beschlossen, dass Joey und Whitney vom Sheriff zum Haus der Brooks gebracht würden, wo Joey sich bei ihren Eltern entschuldigen sollte. Von dort würde seine Tante ihn dann nach Hause fahren.
„Ihr beide benehmt euch anständig da hinten, okay?“
„Ja, Sir.“ Joey hätte dem Sheriff gern erklärt, dass er nichts Verbotenes getan hatte, doch er ließ es lieber. Die Erwachsenen flippten aus, wenn man nachts ohne Erlaubnis unterwegs war, das war einfach so. Er hatte es bei seinen Eltern schon unzählige Male erlebt, wenn seine beiden Schwestern mitten in der Nacht plötzlich unauffindbar waren. Die Zwillinge machten nämlich gerne Party.
Er nicht. Es war alles so unfair.
Er guckte Whitney an, die wortlos neben ihm saß und vor sich hin starrte. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich leise.
„Ruhe da hinten.“
„Ich habe sie nur gefragt, ob alles in Ordnung ist.“
„Was hast du ihr denn getan?“
„ Nichts , okay?“, sagte Whitney wieder von oben herab zum Sheriff. Dann zog sie einen Schmollmund und starrte weiter geradeaus. Joey hoffte inständig, dass sie nicht zu weinen anfing. Er ertrug es nicht, Mädchen weinen zu sehen. Das Gefühl, hilflos danebenzusitzen und nichts tun zu können, war furchtbar. Seine Schwester Edie weinte wegen einer schlechten Note, wegen Jungs oder einem abgebrochenen Fingernagel manchmal so bitterlich, dass das ganze Haus von ihrem Schluchzen bebte. Aber vielleicht half
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