UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
zu massieren. „Ich habe ihm doch nie etwas getan, verdammt. Außer dass ich sein schäbiges kleines Geheimnis niemandem verraten und seine Tochter in Ruhe gelassen habe, ganz so, wie er es wollte.“
„Er wollte nicht, dass …“ Rosa brach mitten im Satz ab. Doch, genau das hatte er gewollt. Paps hatte Alex immer nur toleriert, nie akzeptiert. Er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, ihr die vielen Gründe aufzuzählen, warum Alex nicht zu ihr passte. Sie stand auf und begann nervös auf und ab zu gehen. Jetzt fühlte sie sich selbst wie ein Unfallopfer – geschockt und benommen. „Ich glaube, du solltest jetzt gehen, Alex.“
„Ich gehe nicht.“
„Warum nicht? Damals ist es dir doch auch nicht schwergefallen, mich alleinzulassen.“
Er sah sie erst fragend an, dann sagte er: „Ich nehme an, das habe ich verdient.“
„Und ich verdiene etwas Ruhe und Frieden. Es ist spät, und ich muss nachdenken. Es ist mir ernst, Alex, also bitte geh, und lass mich allein.“
Er sah sie immer noch an. Rosa kämpfte mit sich, jetzt nur ja keinen Rückzieher zu machen.
Schließlich stand er auf. „Ich rufe dich an.“
Alex räumte gerade seinen Schreibtisch im Büro in Providence aus. Alles andere war schon nach Newport abtransportiert worden, und nur noch einige wenige persönliche Gegenstände waren übrig geblieben, darunter ein alter Rechenschieber, der seinem Großvater gehört hatte, und ein gerahmtes Bild von Madison und ihren Kindern. In der obersten Schreibtischlade lag das Rochenei, das Rosa ihm einmal als Glücksbringer geschenkt hatte. Er nahm es in die Hand. Es war federleicht.
„Alexander?“ Sein Vater kam ins Büro. Wie immer trug er einen Maßanzug, hatte das Haar akkurat gescheitelt und seine gewohnte missbilligende Miene aufgesetzt.
Alex ließ den Glücksbringer in seine Hosentasche gleiten. „Ich hole gerade den Rest meiner Sachen.“
„Es besteht kein Grund zur Eile.“ Sein Vater nahm einen der herumstehenden Kartons und trug ihn in den Flur.
„Ich schaffe das schon“, sagte Alex.
„Es macht mir nichts aus, dir zu helfen.“ Als sein Vater den nächsten Karton aufhob, brach die Pappe des Bodens durch, und der gesamte Inhalt fiel heraus. Beide bückten sich, um die verstreuten Blätter einzusammeln.
„Was ist das alles?“, erkundigte sich sein Vater, während er die vielen Briefe und Karten aufhob. Sie waren teilweise aus buntem Papier und mit der Hand beschrieben.
„Ach, nur Geschäftskorrespondenz.“ Rasch versuchte Alex, den Boden des Kartons mit dickem Klebeband zu reparieren. Doch dann sah er, dass es zu spät war – sein Vater hatte bereits zu lesen begonnen.
„Hier geht es also um den ‚Access Fund‘“, sagte er und las laut aus einem der Briefe vor. „Vielen Dank für diese Chance, ohne die ich …“ Dann nahm er einen anderen Brief, der in der zittrigen Schrift eines alten Menschen geschrieben war. „Sie haben mir eine Zukunft ermöglicht, die ich sonst niemals …“ Einigen Briefen waren Fotos von Häusern, Kindern und Enkelkindern und jungen Leuten, die College-Diplome in die Kamera hielten, beigelegt.
Alex beobachtete seinen Vater beim Lesen und merkte, wie sein anfangs lediglich erstauntes Gesicht immer verblüfftere Züge annahm.
Alex ärgerte sich. Dieser Fonds lag ihm sehr am Herzen, doch er hatte ihn nie an die große Glocke gehängt. Die Firma verdiente fast nichts an diesen Klienten, doch er selbst hatte sie immer als seine wichtigsten Investoren betrachtet. Er wappnete sich innerlich gegen die zynischen Bemerkungen, die er nun zu hören bekommen würde. Sein Vater hatte diesem wenig gewinnbringenden Fonds immer schon kritisch gegenübergestanden.
Doch überraschenderweise wirkte sein Vater gerührt, als er die Briefe wieder in den Karton legte. „Und alles, was ich von meinen Klienten bekomme, ist eine Flasche ‚Glenfiddich‘ zu Weihnachten“, murmelte er, während er den Karton sorgfältig zuklappte.
Doch der Moment war so schnell vorbei, wie er gekommen war. „Kennst du einen gewissen Sean Costello?“, fragte Alex’ Vater. „Diesen Sheriff?“
Alex krampfte sich der Magen zusammen. „Nicht persönlich. Warum fragst du?“
„Er hat mich um einen Rückruf gebeten. Ich frage mich, was er will.“
„Vielleicht ist es wegen des Sturmschadens.“ Alex drehte sich rasch um. Er hatte keine Meinung über Costello. Damals, als er ihn in der Prospect Street gesehen hatte, hatte er versucht sich einzureden, dass dieser Typ gut zu Rosa
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