Und ewig währt die Hölle (German Edition)
suchte ihren Blick hinter den Brillengläsern. «Wenn sich jemand einen Scherz erlaubt hat, sehen wir alt aus. In den letzten Tagen sind wir wie kopflose Hühner herumgerannt und haben die Verkäufe von Waschpulver verfolgt. Und dabei bedeutet es vielleicht überhaupt nichts. Vielleicht ist das nur so eine Idee, die dem Täter im letzten Moment eingefallen ist, um uns das Leben schwerzumachen. Und es hätten genauso gut Cornflakes sein können.»
Lykke atmete hörbar aus.
«Könnt ihr sagen, ob es dieselbe Waffe war?»
Rigmor Haugen sah ihn irritiert an.
«Habe ich dir den Schnitt bei der ersten Leiche gezeigt?»
«Nadija Hadzic, ja.»
«Das Tatwerkzeug, Säbel oder Messer, ist dasselbe. Die Art des Einstechens und Schneidens auch. Laienhaft ausgeführt, aber mit großer Kraft. Und wie Mihajlo schon sagte, beim zweiten Mal mit noch größerer Kraft als beim ersten.»
Lykke überlegte.
«Du hast gesagt, dass die Waffe eine schadhafte oder schartige Klinge gehabt hat. Keines der Messer in Gusevs Wohnung war beschädigt.»
Haugen stöhnte leise auf.
«Der hat doch sicher noch mehr Messer. Im Auto, zum Beispiel.»
Lykke schlug mit der Hand auf die Tischplatte. Gusevs Auto hatten sie nicht untersucht. Natürlich hat der Mann ein Auto, dachte er.
«Das Mädchen hat ihn gesehen», sagte er mehr zu sich selbst. «Sie ist sicher, dass sie gesehen hat, wie er neben einem Auto stand.»
«Komm.» Rigmor Haugen war bereits auf dem Weg zum anderen Ende des Raums. «Die hier habe ich vor einer Stunde hereinbekommen.» Sie legte einige große Farbabzüge auf einen Arbeitstisch. Lykke starrte auf den abgeschnittenen Kopf. Rigmor Haugen nahm eines der Fotos hoch und zeigte auf eine Stelle. «Siehst du den Schnitt am Nabel?»
Lykke betrachtete den Abzug.
«Ja», sagte er.
«Erkennst du was?»
«Nein.»
«Sieh genau hin. Siehst du die Einrisse am Wundrand?»
Lykke beugte sich über das Foto.
«Du meinst, das ist eindeutig?»
Rigmor Haugen rieb die Brillengläser am Kittel.
«Ja.» Sie setzte die Brille auf. «Dieselbe Waffe. Es würde mich nicht wundern, wenn wir DNA von Nadija Hadzic im Körper von Lakshmi Singh finden.»
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Kapitel 46
05.47 Uhr. Eine Möwe glitt träge über die Reihe verschneiter Autos am Kai. Der Skipper des Krabbenkutters steckte den Kopf aus dem Steuerhaus, spuckte einen braunen Strahl in den Wind und fluchte gotterbärmlich. Schon der dritte Tag an Land.
Nora packte den Lederhandschuh fester.
«Sie können heute wieder nicht hinausfahren.»
Gisle Kvamme drückte ihre kleine Hand. In vier Stunden würden sie in der ersten Reihe der Friedhofskapelle von Vestre Gravlund sitzen. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.
«Die machen es sich bestimmt an Bord gemütlich.»
«Vielleicht spielen sie Karten?»
«Vielleicht.»
Er blickte hinunter auf die rote Nasenspitze, die zwischen Mütze und Schal kaum zu sehen war. Es ging jetzt schon besser. Wenigstens ein bisschen. Am Abend zuvor hatten sie zusammen ferngesehen. Nora hatte vier Würstchen im Pfannkuchen gegessen. Er war beinahe überrascht, dass sie so normal wirkte, aber der Psychologe in Arendal hatte ihm klar gesagt, dass genau das eintreten könnte. «Erwachsene finden es unnormal, wenn Kinder scheinbar nicht trauern, aber das ist eine Art Abwehrreaktion und durchaus normal.»
Er wandte sein Gesicht dem Meer zu und spürte, wie der eiskalte Wind ihm in die Wangen biss. Der Psychologe hatte ihm nahegelegt, dass es das Beste für Nora sei, so normal wie möglich zu leben, und gerade das machte ihm zu schaffen. Sollten sie nach Oslo ziehen? In Nadijas Wohnung leben, damit Nora ihr Zimmer und ihre Freundinnen wiederhatte?
Bisher hatte Nora nichts in der Art angedeutet. Sie schien die Wohnung oder die Schule nicht zu vermissen. Der einzige wunde Punkt war Erna, ihre isländische Freundin. Sie chatteten mehrmals pro Tag miteinander. Die enorme Fixierung auf das Internet machte ihm ein bisschen Sorgen. Nora chattete manchmal bis zu fünf Stunden ohne Unterbrechung. Der Psychologe hatte betont, wie wichtig es war, dass sie sich nicht abkapselte. Sie muss andere Kinder in Risør kennenlernen, dachte Kvamme. Am besten, sie geht hier zur Schule. Je eher, desto besser. Aber erst einmal die Beisetzung.
Nora blieb stehen und schob die Mütze ein wenig zurück.
«Wann lerne ich denn eigentlich Sverre Helge kennen?», fragte sie und sah ihn mit altkluger Miene an.
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Kapitel 47
Parisa war noch
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