Und ewig währt die Hölle (German Edition)
nicht da, trotzdem merkte er es sofort, als er die Tür öffnete: Es lag eine neue Energie im Raum. Rolf Lykke hatte das schon oft erlebt. Es war, als hätten Viker, Eriksen und Kuvås vergessen, dass sie seit einer Woche kaum geschlafen hatten. Ihre Blicke waren wach, und die Finger trommelten auf der Tischkante. Sie brannten darauf, endlich weiterzukommen. Der Augenblick der Wahrheit für eine Ermittlungsgruppe.
«Wir haben einen möglichen Durchbruch», sagte Lykke vom Kopfende des Tisches.
Ein unmerkliches Stöhnen ging durch den Raum.
«Einen möglichen Durchbruch?» Ted Eriksen breitete resigniert die Arme aus. «Es ist in Ordnung, dass wir nicht voreilig sein sollen, aber wenn wir in der Wohnung des Hauptverdächtigen eine Schlachtbank finden und ein ganzes Arsenal von Fleischmessern und Beilen, finde ich, dass wir allen Grund haben, von einem Durchbruch zu sprechen.»
Er starrte Lykke trotzig an.
«Vorläufig nennen wir es einen möglichen Durchbruch», wiederholte Lykke. Der scharfe Unterton war nicht misszuverstehen.
Vielleicht war es der Schlafmangel und das Gefühl, die anderen im Rücken zu haben, was den Ausschlag gab, denn urplötzlich rastete der junge Ermittler vollkommen aus.
«Okay, du hast jede Menge Erfolge auf deiner Liste», schrie er, «aber das gibt dir nicht das Recht, deine eigenen Theorien bis zum Gehtnichtmehr durchzudrücken, nur damit andere nicht recht bekommen. Die Morde sind rassistisch motiviert, das habe ich von Anfang an gesagt. Jetzt haben wir einen Kerl eingebuchtet, der mit Vorliebe Zigeuner verprügelt, der Nadija Hadzic kannte und genug Werkzeug in seiner Wohnung hat, um die ganze Sars’ gate abzuschlachten, und dann kommst du und redest von einem möglichen Durchbruch!»
Bei den letzten Worten schnappte seine Stimme beinahe über.
Lykke erhob sich und trat ans Fenster. Alle Augen waren auf seinen schmalen Rücken gerichtet. Die Sekunden fühlten sich an wie Minuten. Ted Eriksen saß regungslos auf seinem Stuhl, nur seine Brust hob und senkte sich schnell. Der Kommissar wandte sich zum Konferenztisch um und begegnete dem starren Blick seines jungen Kollegen.
«Ich hoffe, du hast recht, Ted», sagte er schließlich.
Lasse Viker atmete langsam durch die Nase aus.
Ted Eriksen setzte zu einer Antwort an, aber ein Blick von Kuvås brachte ihn zum Schweigen.
«Wir bekommen die Analyse der DNA-Proben morgen Nachmittag, wenn wir Glück haben», fuhr Lykke im selben ruhigen Ton fort. «Gusevs Vernehmung beginnt, sobald sein Anwalt hier eintrifft, wahrscheinlich gegen Mittag.»
Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Sadegh und der Computerspezialist von Økokrim hätten längst da sein müssen.
«Falls wir DNA-Übereinstimmungen an seiner Messersammlung finden, ist das Ding für ihn wohl gelaufen», sagte Lasse Viker und versuchte, seiner Stimme einen versöhnlichen Klang zu geben.
«Zumindest hätte Gusev dann ein Erklärungsproblem», erwiderte Lykke kurz. «Aber das Motiv will mir nicht in den Kopf. Der Mann ist selbst Einwanderer, und er lebt mehr oder weniger von Gästen, die Einwanderer sind. Warum sollte er plötzlich zwei Frauen umbringen, nur weil sie Einwanderinnen sind?»
«Weil er ein nationalistischer Ukrainer ist, der sein ganzes Leben lang rassistisches Gedankengut gepflegt hat», sagte Eriksen. «Jeder, der die Entwicklung im ehemaligen Ostblock verfolgt, weiß, dass der Nazismus dort am stärksten ausgeprägt ist. Und was kennzeichnet den Nazismus?» Er ließ die Frage eine Weile im Raum stehen, ehe er sie selbst beantwortete. «Ethnische Säuberung.»
Lykke betrachtete die Tafel, die mit Namen, Gedanken und halbgaren Theorien vollgeschrieben war. Keine Schlussfolgerungen, nicht einmal ansatzweise.
«Wenn er kein Rassist ist und ein Motiv hat, die eine Frau zu töten, warum tötet er dann die andere?» Er blieb mitten im Raum stehen und wippte auf den Zehenspitzen. «Ich glaube, dass es vielleicht derselbe Mann ist, aber nicht dieselbe Sache.»
«Gusev genießt es, im Mittelpunkt zu stehen», sagte Viker nachdenklich. «Aus jeder Bagatelle macht er eine Riesenshow. Es könnte doch sein, dass der Mann ein irrsinniges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und gleichzeitig ein schlechtes Verhältnis zu Einwanderern hat. In den letzten Tagen war er ständig in den Schlagzeilen, das kann solchen Leuten einen richtigen Kick geben. Wie nennt man das noch, narzitistisch …»
«Narzisstisch. Tja …», Lykke zögerte, «möglich wär’s.»
Die Tür ging
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