Und ewig währt die Hölle (German Edition)
stoppte. Lykke stieg auf die Bremse und schaltete den Scheibenwischer eine Stufe höher. In der Nacht waren mindestens fünfzehn Zentimeter Schnee gefallen, und der aschgraue Himmel hatte offensichtlich noch mehr auf Lager. Plötzlich drang die Stimme des Nachrichtensprechers in sein Bewusstsein. «Die Schlagzeilen. In der sogenannten ‹Blenda-Sache› hat die Polizei einen Mann ausländischer Herkunft festgenommen. Unklar ist bisher, ob der Mann im Verdacht steht, die beiden Morde begangen zu haben. Polizeidirektorin Anne Breiby sagte gegenüber NRK, dass wichtige Spuren gesichert worden seien und man mit einer raschen Aufklärung rechne. Zum Sport. Das amerikanische Energiegetränk Red …»
Lykke drückte auf den Ausschaltknopf. Was zum Teufel meinte Breiby mit «rascher Aufklärung»? Hatte sie das aus purer Unwissenheit gesagt? Sicher nicht. Wahrscheinlich hatte sie sich unter Druck gefühlt, etwas sagen zu müssen. Den Medien zu zeigen, dass die Polizei hart am Ball war. Dass sie, Breiby, die Dinge unter Kontrolle hatte. Scheiße. Er fluchte laut, griff nach dem Blaulicht unter dem Fahrersitz, ließ die Scheibe herunter und knallte den Magneten auf das verschneite Dach. Die Alarmsirene versetzte die Schlange vor ihm in Panik.
Das ist nicht gut, und erlaubt ist es erst recht nicht, dachte Lykke und ertappte sich bei einem Lächeln, während er das Gaspedal durchtrat und sich im Slalom zwischen den Fahrbahnen durchschlängelte.
Lykke drückte die Glastür auf und klopfte sich den Schnee vom Mantel. Er kam zwanzig Minuten zu spät, und das hasste er. Rigmor Haugen saß ausnahmsweise nicht über ein Mikroskop gebeugt. Sie stand am langen Tisch mitten im Raum und diskutierte mit einer kleinen Gruppe Pathologen. Ihre grauen Haare waren mit stabilen Spangen im Nacken zusammengefasst, und die dicke Brille pendelte an einer Schnur um den Hals.
«Ich habe drei Leichen, die auf mich warten», sagte sie, als sie Lykke bemerkte.
«Tut mir leid. Der Verkehr …»
Lykke nickte den Weißkitteln verhalten zu; die Gesichter waren ihm bekannt, aber nur Tove Ruud, die bald in Rente gehen würde, und den kleinen, freundlichen Schweden Mihajlo Djogo kannte er dem Namen nach. Er bevorzugte Rigmor, wie schon in den vergangenen einundzwanzig Jahren.
«Ist es dasselbe …», begann er, besann sich jedoch, als er ihren Gesichtsausdruck sah.
Rigmor Haugen rieb die Brillengläser an ihrem Kittel sauber.
«Hast du sie gesehen?»
«Nur die Fotos.»
«Die Tat wurde mit enormer Kraft ausgeführt. Der Täter hat den Kopf mit einem einzigen Schlag vom Rumpf getrennt.»
«Dann war er wohl sehr kräftig?»
«Und vermutlich sehr zornig.»
Rigmor Haugen wischte ein paar Wassertropfen von Lykkes Schulter. «Ich glaube, er hat eine ungeheure Wut im Bauch», sagte sie ruhig.
«Lässt sich feststellen, ob es derselbe Täter ist?»
Lykke suchte in seinen Taschen nach dem Notizblock, aber dann fiel ihm ein, dass er ihn im Auto gelassen hatte.
«Ja, das ist möglich, aber wir sind uns nicht einig. Mihajlo ist anderer Meinung.»
«Und was ist Mihajlos Theorie?» Lykke wandte sich an den kleinen Mann in Weiß.
«Die Person, die Lakshmi Singh getötet hat, war vermutlich stärker als derjenige, der den ersten Mord verübt hat.»
«Woran sehen Sie das?»
«Daran, mit welcher Kraft die Schnitte ausgeführt wurden. Der Körper von Lakshmi Singh wurde mit deutlich weniger und längeren Schnitten geöffnet als der des ersten Opfers. Außerdem deuten einige kleinere Details darauf hin, dass Lakshmi von einem Linkshänder getötet wurde.»
Lykke drehte sich zu Rigmor um.
«Passiert es öfter, dass ihr euch uneinig seid?»
«Eigentlich nicht, aber es kommt vor. Uneinig wäre wohl auch übertrieben, es geht eher um teils unterschiedliche Interpretationen von Schnitten und Wundrändern.»
«Und was vermuten Sie?» Lykke richtete den Blick wieder auf Mihajlo Djogo. «Ein Nachahmungstäter?»
Auf dem runden Gesicht des untersetzten Pathologen erschien ein Lächeln.
«Das glaube ich eher nicht, aber vielleicht eine Sekte?»
Lykke fluchte in sich hinein.
«Schon wieder Rassismus?»
Rigmor Haugen nickte.
«Möglich.»
«Zum Teufel, ich hasse diese Rassismus-Spur.» Er lehnte sich gegen die Tischkante. «Was ist mit dem Waschpulver?»
Haugen zuckte mit den Schultern.
«Ich bin Pathologin.»
«Eine Botschaft? Irreführung? Jux?»
«Ich habe keine Ahnung, Rolf.»
«Das ist das Schlimmste, was uns passieren kann, weißt du das?» Lykke
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