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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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in der heiligen Kirche' – aber durch die von der nächsten Hore begrenzte Zeit wäre das gar nicht unbedingt unangenehm.
    Vor Tertia, welches Heussgen in der Kirche zu beten pflegte, ehe er sich im Skriptorium an seine Übersetzungsarbeiten machte, hielt er sich meist in seiner Zelle auf, die seit seinem Ausschluss nicht mehr im Zellentrakt der Chorherren lag, sondern im Gästetrakt, direkt über der Eingangshalle. Noch ein Vorteil.
    Arno erreichte atemlos die Tür. Auf sein Klopfen hin wurde er sofort eingelassen, die Tür hinter ihm sorgfältig geschlossen und sogar der Riegel herausgezogen.
    „Nur für den Fall“, sagte Heussgen mit angespanntem Gesicht – ehe er sich in echter Offenheit Arno zu wandte. „Was führt dich zu mir?“
    Arno konnte zuschauen, wie sein Anliegen die Miene seines Freundes schon wieder verwandelte - und die Mischung aus Bestürzung und Verwunderung dann auch in dessen Stimme hören. „Du willst bei mir beichten? Du weißt aber, dass ich ...“
    „Du bist Priester, und das bleibst du“, widersprach Arno sofort. „Egal, wo du dich gerade aufhältst. Also auch in unserer Kirche.“
    „Ich bin nicht sicher, ob unsere Obrigkeit das auch so sieht.“ Heussgen ließ ein trauriges Lachen hören. „Was, wenn ich auch exkommuniziert werde?“ Zuvorkommend wies er auf einen der beiden Stühle, die an dem kleinen, mit diversen Papieren übersäten Tisch standen, ehe er fortfuhr: „Nimm Luther als Beispiel. Nach Weisung der Kirche ist er kein Priester mehr. Würdest du bei ihm beichten?“
    Arno setzte sich und verschränkte die Arme. Heussgen hatte recht. Ganz so einfach, wie sein Gefühl es ihm hatte suggerieren wollen, war die Sache nicht.
    „Ich würde sagen“, er überlegte noch einmal, „solange er sich selbst als Gottes Diener ansieht – solange er sich selbst noch als Priester empfindet – ja. Einfach weil ich ... die Hoffnung habe, dass jemand, der sich zum Priester hat weihen lassen, gewissenhaft prüfen wird, ob er in der Lage ist, ein Sakrament zu erteilen.“
    „So, wie du heute für dich entschieden hast, beichten zu müssen.“
    Nein, Arno würde nicht rot werden! Sondern ernst und selbstbewusst nicken. „Genau.“
    Heussgen zog den anderen Stuhl zu sich heran, setzte sich Arno gegenüber und sah ihn an – in seinem Lächeln ein triumphierendes Frohlocken verbergend. Trotzdem hatte Arno nicht das Gefühl, seiner offensichtlichen Sündhaftigkeit wegen ausgelacht zu werden.
    „Vielleicht weißt du, dass ich in meiner Schrift vom vergangenen Frühling die Bedeutung der Beichte in ihrer formalen Form infrage stelle.“
    Aha. Heussgen triumphierte darüber, dass sich ihr Diskurs genau in die Richtung bewegte, wie es ihm in den Kram passte. Und gerade dieser Punkt hatte Arno schon die ganze Zeit interessiert. Er grinste und setzte sich ein wenig bequemer hin.
    „Ich fuße meine Gedanken auf Luthers Ansicht, dass kein Irdischer das Recht habe, sich von Gott autorisiert zu fühlen, einem Menschen die Absolution von seinen Sünden erteilen zu können“, fuhr Heussgen auch schon fort. „Und erst recht nicht, über die Zeiten dessen Läuterung im Fegefeuer zu entscheiden.“
    „Er führt die Ablässe als Beispiel an, nicht wahr?“ Davon hatte Arno gelesen. „Indem er anfragt, wer sich erdreiste, die Läuterung der Seelen in schnödes Geld aufzurechnen.“
    Mit diesem emotionalen Thema hatte der Wittenberger Theologe natürlich sehr viele Leute hinterm Ofen hervorgelockt, die nur zu gern ihre Sündenkosten einschränken wollten. Ebenso wie solche, die sich über den Fugger’schen Ablasshandel aufregten. Von den Rom-Kritikern ganz zu schweigen.
    „Naja, es ging zunächst einmal darum“, erläutere Heussgen, „wie ein Mensch überhaupt in der Lage sein sollte, gute Taten – also vom Beten eines Rosenkranzes über den Dienst am Nächsten bis hin zu Ablasszahlungen für den Petersdom – in Fegefeuererlass umzumünzen.“ Er hatte sich nach vorn gebeugt und sah Arno nun direkt in die Augen.
    „Das ist schon ein nachvollziehbarer Punkt“, stimmte der zu.
    „Daraus schließt er, dass die Kirche sich an dieser Stelle mehr Macht angemaßt habe, als ihr zustehe. Und dass diese Macht dem einfachen Mann wieder zurückgegeben werden sollte. Dieser solle Gott direkt gegenübertreten, ohne Mittelsmann. Sei es, ein des Lateinischen mächtiger Priester, der die Heilige Schrift für ihn auslegt, oder auch ein Beichtvater, dem er seine Sünden vorträgt.“
    „Letzteres ist

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