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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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mit schuldbewussten Mienen. Aber lag nicht auch etwas Vorwurfsvolles darin? Arno, der inzwischen bei seinem Tisch angekommen war, nicht sicher, ob er sich setzen sollte oder lieber nicht, fühlte sich plötzlich gemustert wie ein störender Eindringling. Bildete er sich das ein?
    „Dass Ihr zusammenarbeitet, ist keineswegs ein Freibrief, vor lauter Zusammensein die Arbeit zu vernachlässigen“, legte er harsch nach. „Setzt Euch an Eure Plätze und verhaltet Euch ruhig.“
    Die beiden jungen Leute warfen sich einen vielsagenden Blick zu, doch Georg entfernte sich gehorsam an seinen eigenen Tisch. Die Art und Weise aber, wie seine Augen nur ganz kurz noch einmal zu Arno schnellten – war eindeutig gereizt, kein Zweifel. Und dieser Seufzer aus Mathildas Mund – war das nicht fast ein Schnauben gewesen? Ein vertrauliches Verbundenheitsschnauben: 'Du und ich, wir haben es schwer unter diesem schrecklichen Lehrer.' Ihre Augen waren bereits auf den Text gesenkt – doch da: Sie schielte ihrem Kumpanen nach. Und spielte da nicht ein irgendwie undefinierbarer Zug um ihren Mund?
    Arno stützte seine Hände auf die Tischplatte und beugte sich in Mathildas Richtung vor. „Wenn Ihr vorhabt, Euch hier in Respektlosigkeit zu ergehen, seid Ihr im Frauenkonvent besser aufgehoben, Schwester Mathilda“, ließ er es kalt auf sie nieder rieseln. Ihr endlich bestürztes Zusammenzucken war ihm ein Vergnügen.
    Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, griff er sich wahllos irgendwelche Unterlagen von seinen Stapeln und rauschte aus dem Raum.
    Dass er Hartwig, der im Skriptorium konzentriert unter Heussgens Aufsicht hebräisch lernte, nur stören würde – und sich obendrein unter dem forschenden Blick seines Freundes rechtfertigen müsste, warum er schon wieder nach oben käme, brauchten diese beiden ja nicht zu wissen.
    Es hatte eine Weile gedauert, ehe Arno sich in der Ruhe der Bibliothek wieder entspannt hatte – zumal er nicht umhin gekommen war, mit einem Ohr in den Unterrichtsraum zu lauschen, ständig gefasst auf das nächste Geturtel. Erst kurz vor Unterrichtsende kehrte er in den Klassenraum zurück. Wurde jedoch von noch immer angespanntem Schweigen empfangen – sittsam an zwei getrennten Tischen. Ruhig atmend, nicht so, als wären sie erst bei seiner Ankunft auseinandergestoben. Nein, sein Eindruck draußen hatte ihn nicht getrogen. Die beiden hatten sich tatsächlich an das Gebot ihres Lehrers gehalten. Er runzelte die Stirn. Wa-rum?
    „Die Stunde ist beendet“, verabschiedete er sie knapp.
    Der Junge klaubte unverzüglich seine Sachen zusammen und stürmte aus dem Raum.
    Arno sah ihm misstrauisch nach. Nicht einmal angelächelt hatte er Mathilda zum Abschied. Entweder sie hatten ein späteres Stelldichein verabredet. Oder dies war wieder ein Beweis für den mangelnden Schneid des Jungen. Dass Mathilda selbst keine Anstalten gemacht hatte – war ja auch egal.
    Arno hatte sich an seinen Tisch gesetzt, um seine zerfledderten Unterlagen wieder zu ordnen.
    Mathilda ließ sich Zeit. Schrieb den Satz zu Ende, markierte umständlich die Stelle, an der sie stehengeblieben war, rollte das Pergament ein und band es sorgfältig zu. Dann verfolgte Arno aus den Augenwinkeln, wie sie mit zögerlichen Schritten zu ihm herüberkam.
    „Ich möchte Euch um Verzeihung bitten.“
    Ihre Unterlippe zitterte, obwohl sie sich sichtlich bemühte, das zu unterbinden. Ihre Stimme klang fest. Widerwillig fühlte Arno Zuneigung in sich aufkeimen.
    „Ich wollte nicht ... ich habe mich gehenlassen, es tut mir leid.“
    Arno nickte bloß.
    „Wir wollten nichts Unrechtes tun, Georg und ich. Ich meine ...“
    Was sollte er dazu sagen?
    „Es ist nur“, sie brach ab. Begann dann entschlossen von Neuem: „Ich bin so gern hergekommen. Habe es so genossen, dass ich hier denken durfte, fragen, antworten, mich austauschen, diskutieren.“
    Wieso redete sie in der Vergangenheit? War ihr so sehr bewusst, dass ihre Tage hier gezählt waren?
    „Hier konnte ich einfach sein, wie ich mochte. Ohne mich ständig kontrollieren zu müssen, ohne auf der Hut sein zu müssen, eine Regel zu übertreten, ohne dass ich ständig unter Beobachtung stand, auf dem Prüfstein, wie drüben.“
    Unablässig kamen die Worte, so als wollte sie die Zeit des Schweigens, die seit ihrem letzten Gespräch vergangen war, nachträglich damit füllen.
    „Das war so wichtig für mich. So gut. Gut zum Lernen. Für alles. Jede einzelne Unterrichtsstunde hat mir solchen

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