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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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mir auf? Ich bin ja bereit, mich ihr zu stellen, auch wenn sie mich viel mehr fordert als gedacht. Aber dazu brauche ich deine Hilfe! Bitte, hilf mir zu sehen, was ich tun muss!“
    Irgendwie blieben die Worte hohl in der Luft hängen, als wären sie ohne Bedeutung gesprochen. Wo war das sich sonst dabei einstellende Fließen durch Leib und Seele, welches doch stets die richtigen Gedanken nach sich zog? Wollte Gott ihm nicht antworten?
    Das 'Vater unser', erinnerte er sich. Damit hatte es meistens funktioniert. Er senkte den Blick auf seine gefalteten Hände.
    „Vater unser, der du bist im Himmel.“ Himmel, Mathilda konnte doch nicht wünschen, dass er ... Er schüttelte den Kopf. Wo war er schon wieder? „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme.“ Konnte dieser Kelch nicht an ihm vorübergehen? Fast mechanisch nickte er. Oder war es Gottes Wille? „Dein Wille geschehe ...“ Er hob den Kopf und sah Jesus an. „Das kann doch nicht sein. Du kannst doch nicht von mir wollen, dass ich ...“
    Das Gebet verwerfend, sprang er auf. In ihm war keine Ruhe zu Kontemplation oder gar Versenkung. Er war bis an den Rand angefüllt mit – diesem Mädchen!
    „Was verlangst du von mir?“
    Hatte sein Ruf Gott gegolten – oder etwa Mathilda selbst? Sein Blick irrte vom Kreuz zum Fenster, zur Tür und zurück zu Jesus am Kreuz. Fixierte ihn. Seinen Halt. Seinen einzigen Halt in diesem Chaos, in das sich sein Leben plötzlich verwandelt hatte. Er musste zu Gott finden, zu Ruhe und Ordnung zurück. Darin lag die Antwort, nirgendwo sonst. Er schloss die Augen, suchte ...
    Pater Bertram! Das Gesicht seines alten Beichtvaters stand ihm plötzlich deutlich vor Augen – und die Sehnsucht nach seiner Gegenwart überdeckte einen Moment lang alles andere in ihm. Sehnsucht nach der Ruhe, die Bertram ausstrahlte, nach dessen Gewissheit, der ihm eigenen Weisheit. Nach seiner wissenden Stimme, die genau das fragte, was Arno in die richtige Antwort trieb, die ihn erkennen ließ, was er erkennen wollte, die ihn darin unterstützte, die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen.
    Stattdessen war er hier, allein, gefangen in seinem eigenen Denken, das ihm immer mehr zu entgleiten schien.
    Dass er sich nun ziellos in der Enge seiner Kammer hin- und herbewegte, änderte daran auch nichts. War er der Illusion aufgesessen, die Situation im Griff zu haben? Um dann bei der ersten Gelegenheit feststellen zu müssen, dass er sich ganz genauso unzurechnungsfähig benahm wie eh und je? Es war sinnlos, es zu leugnen. Das Mathilda-Problem drohte, ihm über den Kopf zu wachsen.
    Er ließ sich auf sein Bett sinken, kauerte sich zusammen, seine Finger in sein Haar gekrallt. Versuchte ruhig zu atmen. Wurde erneut auf die Füße getrieben, zum Kruzifix zurück. Was sonst konnte er tun, als weiterhin versuchen zu beten?

Mittwoch, 21. Dezember 1521
    Wie ein Blinder im Dunkeln
     
    Aber dieselben dreizehn Priester sollen allein dem göttlichen Amt der Lernung und dem Gebet aufwarten. Und sich in keine anderen Geschäfte oder Ämter einmischen.
    Aus den Klosterregeln der Heiligen Birgitta
     
     
    Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag hatte Arno wieder und wieder darüber nachgedacht. Und nun, auf dem Weg zum heutigen Unterricht, war er eigentlich sicher, die richtigen Schlüsse gezogen zu haben.
    Die grundlegenden Tatsachen hatten sich nicht verändert. Ihm war eine Situation aufdiktiert worden, und für alles, was sich daraus entwickelte, trug er keine Verantwortung. Ob er es nun 'Experiment' nannte oder nicht, ob er davon träumte oder nicht, ob er Erwartungen hatte, neugierig war oder vollkommen gleichgültig: Mathilda und Georg würden einander erkennen und von hier verschwinden – und zwar völlig unabhängig von seiner, Arnos, Person.
    Allerdings war es trotz der Eindeutigkeit der Sachlage die ganze Zeit über schwierig für ihn gewesen. Weil es ihm, so sehr er sich auch darum bemühte, einfach nicht egal sein konnte, wie es seinen beiden Schützlingen erging. Weil er sich entgegen jedweder Vernunft noch immer für Mathilda verantwortlich fühlte.
    Warum das so war – darüber brauchte er jetzt gar nicht nachzudenken, denn seit gestern war die Lage wirklich kompliziert. Seit nämlich Mathilda ihn um Hilfe gebeten hatte.
    Auf diese Weise machte sie es ihm unmöglich, sich weiterhin aus allem herauszuhalten. Und wie hätte er sie abweisen sollen – so vertrauensvoll sie ihn angefleht hatte, er möge ihr helfen!
    Zugleich war es absurd.

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