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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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verborgen ... meine Schuld ... verborgen ...“
    Es war seine eigene Schuld, dass es ihm jetzt so schlecht ging. Denn er hatte diese Schuld verborgen, hatte geglaubt, sie abgestreift, hinter sich gelassen zu haben. Und all die Jahre nicht mehr daran gedacht.
    Dabei war er schuld. Er war diese Schuld.
    Bitte, Herr, ich füge mich, ich werde tun, was du verlangst, ich werde mich der Wahrheit stellen. Hilf mir, hilf mir, wie du mir damals geholfen hast!
    Wie lange war es her, dass er in den gnädigen Fluss des Gebets hatte eintauchen können? Während es sich jetzt so anfühlte, jeden einzelnen Laut aus seiner trockenen Kehle krächzen zu müssen – auf dass das Wort, kaum heraus, gegen eine unsichtbare Wand prallte und zu Staub zerrann, ohne je eine Bedeutung erlangt zu haben.
    „Du weißt meine Schmach, Schande und Scham ...
    ... die Schmach bricht mir mein Herz
    und kränket mich ...
    ... ich aber bin elend und mir ist wehe ...“
    Er atmete tief ein, spannte den Bauch an, verzog das Gesicht vor Anstrengung – doch die Worte blieben außerhalb von ihm, außerhalb seiner Oberfläche, wie Staub im Wind.
    Konzentrierte er sich nicht genug? Bereute er nicht genug? War er nicht entschlossen genug? Warum ließ Gott ihn nicht zu sich sprechen?
    Sich auf der Kniebank zusammenkauernd, vergrub Arno sein Gesicht in den Händen, presste diese mit der Kraft seines niederdrückenden Kopfes auf seine Schenkel.
    Warum will Gott mich nicht anhören?
    Er war allzeit so hochmütig gewesen. Das musste es sein, was Gott ihm nicht vergeben konnte. All die Jahre hatte er die armen Sünder seelsorgerisch begleitet und sich selbst so sicher gewähnt, zu stark, zu fest im Glauben, als dass er ebenso in die Sünde geraten könnte. Und währenddessen bin ich der schlimmste Sünder von allen gewesen!  
    Das war es, wofür er jetzt bezahlen musste, und das war nur gerecht. Gerecht war auch, dass Gott ihn erst einmal zappeln ließ, den Kontakt mit ihm verweigerte. Das würde er aushalten müssen.
    Er würde sich seiner eigenen Sündhaftigkeit wieder bewusst werden, ihr ehrlich und mit seiner ganzen Seele abschwören, sich endlich wahrhaft bessern. Dann würde Gott ihn zu sich zurückkehren lassen.   
    Sein Kopf war hoch geruckt, als ihm die Lösung einfiel. Das offene Grab! Das würde er aufsuchen. Jetzt sofort. Noch vor Vigil. Büßen. Jeden Morgen würde er das von nun an tun. Und wann immer er sich tagsüber freimachen konnte. So lange, bis er es geschafft hatte.
    Dann würden nicht nur diese furchtbaren Albträume endgültig verschwinden, sondern auch sämtliche seiner neuartigen Probleme. Weil seine Schuld an Rosa die Wurzel war. Die Wurzel all seines Übels. Genau das hatte Gott ihm die ganze Zeit sagen wollen. Und Arno hatte verstanden. Endlich. Am Morgen des Heiligen Abend. Das musste doch ein gutes Zeichen sein.

Des Herrn Furcht ist Anfang der Erkenntnis
     
     
    Mit einem letzten tiefen Seufzer wandte Arno sich langsam vom offenen Grab ab und ging gemessenen Schrittes über den Friedhof in Richtung Bibliothek. Es war ein guter Ort, sich der Abgründe seines eigenen Selbst zu vergegenwärtigen. Er hatte bereits das Gefühl, dass Gott ihm ein bisschen weniger zürnte.
    Und eine Nebenwirkung des Ganzen: Der nun anstehende Unterricht, der ihn doch sonst immer so unangenehm beschäftigt hatte, war durch die Auseinandersetzung mit der wirklich wesentlichen Frage gnädig in den Hintergrund gerückt. Dort, wohin er gehörte.
    Ganz entspannt öffnete er die Tür zum Bibliotheksgebäude, ohne, wie sonst, den Drang zu verspüren, einen Blick in die Nische zu werfen, wo ihre Lampe stand. Nun ja, zugegebenermaßen hatte er diese bereits kontrolliert, ehe er ans Grab gegangen war. Und dennoch fühlte er sich wunderbar erleichtert. Dieser Bereich war gelöst. Georg war fort, Mathilda würde einen geeigneteren Mann wählen und verschwinden. Es war Weihnachten, Geburt Jesu Christi, der Keim neuer Hoffnung. Von nun an würde alles gut werden.   
     
    „Warum soll ich nicht mehr oben bei Pater Heussgen arbeiten?“, wollte Hartwig vorwurfsvoll von ihm wissen, als Arno die Türe zum Unterrrichtsraum hinter sich schloss. „Und wo ist Bruder Georg?“
    „Er ist für die Dauer der Holzbevorratung vom Unterricht befreit“, gab Arno zur Antwort. Dass er auch danach anderswo beziehungsweise zu anderen Zeiten unterrichtet werden würde, brauchte Hartwig noch nicht zu wissen. „Aus diesem Grunde brauche ich Eure Unterstützung, Bruder Hartwig, und

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