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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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dem der Laienbrüder gehangen hatten.
    Wolfgang schien das nie gekümmert zu haben. Ihn hatte Arno immer nur mit seiner Ursula gesehen. Wobei sich diese kleinen Vergnügungen ja ausschließlich auf verschiedenen Seiten des Klausurgitters abspielen konnten. Doch auch das hatte Wolfgang augenscheinlich nicht gestört.
    Nun, man mochte aus alledem schließen, was man wollte – wie erschüttert sich dieser Mann heute hier gab, vermochte Arno nicht nachzuvollziehen. Er warf ihm einen abschätzigen Blick zu, während er gemeinsam mit den Nonnen in den Schluss des Totengebetes einfiel:
    „Denn beim Herrn ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle.
    Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden.“
    Immerhin waren seine eigenen Sünden bei alledem in angenehme Entfernung gerückt.
     
    Diese Erleichterung hatte sich allerdings bis zum Anbruch der Unterrichtszeit lange wieder verflüchtigt. Obwohl Arno extra noch einen Abstecher ans offene Grab gemacht hatte, schien mit jedem Schritt hinüber zur Bibliothek auch der letzte Rest seiner Distanz zu schrumpfen. Als er schließlich vor der Tür zum Unterrichtsraum stand, straffte er zum wiederholten Male die Schultern, ehe er sich überwand und diese öffnete. Seine Füße über die Schwelle zwang. Mitten hinein in die reale Anwesenheit der Frau, die ihn in seinen Albträumen heimsuchte. Woran weder Arnos ehrliche Bemühungen noch tote Nonnen noch Techtelmechtel irgendwelcher frommer Grafen etwas zu ändern vermochten.
    Er stöhnte auf. Ihr Gesicht ihm zugewandt, lächelnd. Wieder diese Freude, dieselbe Freude, mit der sie ihn immer ...
    Das gehört nicht hierher! Jetzt ist Tag und Unterricht und Realität!
    „Sind Eure Kopfschmerzen besser, Pater Arno?“
    „Das ist nichts, worum Ihr Euch kümmern müsstet“, erwiderte er mit unangemessener Schärfe.
    Sah sie zurückzucken – ohne ihre erstaunten Augen von ihm zu nehmen.
    „Es ist nett von Euch, Euch dafür zu interessieren, entschuldigt ...“
    „Ihr habt noch Kopfschmerzen“, schloss sie mitfühlend. Mehr als das. Voller Sorge.
    Er musste ihr kurz zulächeln. Damit das aufhörte.  
    Sie fühlte sich seltsam an – es fühlte sich seltsam an. Sie auf die Art lächeln zu sehen, wie sie es nachts auch tat. Und das nicht nur für einen kurzen Augenblick wie heute Mittag vor dem Skriptorium, wo er sich gleich hatte entfernen können. Sondern ihr ausgesetzt zu sein und sich ständig daran erinnern zu müssen, dass die Frau aus seinen Träumen nichts mit der realen Mathilda zu tun hatte – egal, wie lebensecht sie darin wirkte. Die Traumfigur war symbolisch zu sehen, ein Symbol für die ihm von Gott auferlegte Prüfung.
    Dennoch hatten seine Träume Mathilda verändert – doch das war eine Illusion, das wusste Arno sehr wohl. Er sah sie lediglich anders, wie mit anderen Augen. Mit Augen, die nachts in die ihren blickten und ... Und das ist genau diese Illusion!  
    In Wahrheit war sie natürlich dieselbe wie früher, ehe er begonnen hatte, von ihr zu träumen – und das musste er nur wieder wirklich verinnerlichen. Seine Träume hatten nichts mit Mathilda zu tun.
    „Ihr wisst, was Ihr zu arbeiten habt?“
    Diesmal hielt er sein inneres Chaos aus, ohne davonzulaufen. Von Zeit zu Zeit spürte er ihre besorgten Augen auf sich – doch sie nahm keinen weiteren Kontakt zu ihm auf.
     
    Am Ende der Stunde hielt er kurz den Atem an – ohne seinen Blick von seinen Aufzeichnungen zu nehmen – doch nachdem er einen langen Moment den ihren nachdenklich auf sich gefühlt hatte, erhob sie sich und ... ließ ihn endlich allein.
    Erschöpft legte er seinen Kopf auf seine Arme und schloss die Augen. So fühlte sie sich an. Die Versuchung.

Donnerstag, 5. Januar 1522
    Wie lange wollt Ihr Toren die Erkenntnis hassen?
     
    Wenn uns irgendetwas Unangenehmes begegnet, oder wenn wir in eine beschwerliche Lage gelangen, da sind wir alle geneigt, darin andere oder unser Schicksal zu beschuldigen, anstatt zu bedenken, daß, wenn Äußeres, das von uns unabhängig ist, uns zur Unannehmlichkeit oder Beschwerlichkeit wird, dies zu bedeuten hat, daß in uns selbst etwas nicht in Ordnung ist.
    Epiktet
     
     
    Das kann nicht sein! Das kann einfach nicht wahr sein. Nein. Ausgeschlossen. Wie ein gefangenes Tier lief Arno in der Enge des Versorgungsganges hin und her, um den Beichtstuhl herum, auf dem er gleich ... Es kann nicht sein! So kann Gottes Plan nicht lauten.  
    „Ihr ward es, der vorgeschlagen hat, Schwester Jordanin aus dem Weg zu

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