Und fuehre uns in die Versuchung
Nonnen hier oben, weit über der Kirche und damit weit weg vom Männerchor hinter dem Hochaltar, die Kommunion empfangen sollten. Würden sie hinabziehen? Sie wartete vergeblich darauf, dass sie sich erhoben, doch keine der Schwestern rührte sich. Alle knieten auf ihren Plätzen und beteten still.
Erst als wieder leiser Männergesang durch das Fenster hereindrang, standen sie der Reihe nach auf – und stellten sich neben der geschlossenen Türe an. Jetzt erkannte Mathilda in der Nische neben dem Eingang das kleine, offenstehende Fenster, ähnlich dem des Beichtstuhls, aber nur grob vergittert.
Die Mönche in der Kirche verstummten, als Mathilda die Bewegung hinter dem Fenster sah. Es war offensichtlich: Der Priester war zur Kommunionspende hier heraufgekommen.
Es dämmerte, als Mathilda sich dem stillen Zug aus der Kapelle anschloss. Am Übergang zum Kloster blieb sie stehen und wartete auf Schwester Jordanin. Dabei beobachtete sie die anderen Nonnen, wie sie den Gang hinauf- oder hinunterliefen, und ganze Gruppen, hauptsächlich Weißschleier, die der Treppe zustrebten, je nachdem, wo ihr Arbeitsplatz liegen mochte.
Schließlich konnte Mathilda Schwester Jordanin entdecken. Sie stand neben der Äbtissin und einer anderen Chorfrau, lauschte, nickte, sagte etwas, nickte wieder, neigte dann leicht den Kopf, wandte sich schließlich ab und kam auf Mathilda zu.
Natürlich erkundigte sie sich nicht nach deren Wohlbefinden oder gar, wie die erste Nacht verlaufen sei, sondern kam sofort zum Thema: „Jede Nonne geht nun ihren Aufgaben nach. Meine wird sein, dir das Kloster zu zeigen.“ Sie deutete den Korridor entlang. „Den Weg zur Pforte und zum Redhaus kennst du ja bereits.“
Mathilda nickte gehorsam. Lieber wollte sie nichts davon sagen, dass sie keineswegs das Gefühl hatte, alleine dorthin zu finden.
„Bevor wir mit dem Rundgang beginnen, will ich dir erklären, wie unser Kloster funktioniert.“
Sie hob die Hände und wies weit um sich. „Alles, was du hier siehst, alles, was wir benötigen, wird vom Kloster selbst gefertigt.“
Einen Moment schwieg sie, fügte dann aber hinzu: „Es gibt Ausnahmen. In der Landwirtschaft und in der Brauerei arbeiten auch Weltliche. Aber hier ins Kloster selbst kommen nur Konventsmitglieder. Das heißt, wir müssen uns auf die unterschiedlichsten Aufgaben aufteilen.“
Sie machte ein paar Schritte den Korridor entlang, blieb dann jedoch wieder stehen. „Natürlich gibt es eine Aufteilung zwischen Männer- und Frauenkonvent.“ Sie winkte Mathilda heran und schob sie ans Fenster. „Die Landwirtschaft untersteht zwar dem Kloster, wird aber weitgehend von Hilfskräften aus dem Dorf erledigt.“
Mathilda sah aus dem Fenster, sah Felder, Wiesen, Äcker, sah Zäune und Hecken, Baumgruppen und Wege.
„Aufgabe des Männerkonvents“, sagte Schwester Jordanin und wies mit dem Kinn hinaus. Dann zog sie Mathilda ein Stück weiter, auf die andere Seite des Korridors. Dort lag der vom Frauenkonvent eingerahmte Klostergarten mit dem Brunnenhaus, das Mathilda schon kannte.
„Hier werden Kräuter und Gemüse gezogen, für die Küche“, sie zeigte auf einen Eingang neben dem Brunnenhaus. „Nachher werden wir dorthin gehen.“
Nach einem Schritt, weg vom Fenster, fuhr sie fort: „Hier im Frauenkonvent wird also für das Gesamtkloster gekocht. Und gewaschen“, fügte sie nach einem Moment hinzu. „Die Wäscherei ist unten, auch in der Nähe des Brunnenhauses. Dorthin gehen wir zuerst.“ Sie winkte Mathilda und eilte den Flur entlang. „Jetzt ist es dort noch nicht so stickig. Später, wenn alle Kessel dampfen, dagegen ...“
Sie waren bereits auf der Treppe nach unten, als Schwester Jordanin fortfuhr. „Natürlich wird nicht jeden Tag gewaschen. Montag und Dienstag nur. Den Rest der Woche sind die Schwestern dort einer anderen Arbeit zugeteilt. Kerzen ziehen, Brot backen, Seifen kochen. Es gibt immer viel zu tun.“
Schwester Jordanin blieb erst vor einer schweren Tür stehen, die ohne Zweifel nach draußen führte. „Hast du noch irgendwelche Fragen?“
Oh ja, die hatte Mathilda. Auch wenn die nichts mit Küche oder Wäscherei zu tun hatten.
„Ist die Liturgie hier immer auf Deutsch, nie lateinisch?“, nahm sie die erste, die ihr einfiel.
Im ersten Moment trat Erstaunen in den Blick der Jordanin, wohl ob des plötzlichen Themenwechsels. Dann nickte sie, dies offenbar als echte Frage anerkennend. „Das ist wirklich ungewöhnlich – und auch noch ganz neu.
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