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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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rechte Schulter ...“
    Hunger hatte Mathilda jetzt auch nicht mehr.
     
    Nach dem Essen zogen die Nonnen wieder schweigend hintereinandergereiht, zur Beleuchtung jede eine brennende Kerze in der Hand, in den Zellentrakt. Mathilda, ihre Puppe im Arm, fand ihre Kammer problemlos wieder und nahm diese sofort in Besitz, indem sie ihre Reisetruhen auspackte. Ersatzkutten und -skapuliere, wollene und leinene Unterkleider, graue Hauben mit und ohne Bänder, Handtücher und ein Leinentuch legte sie sorgfältig gefaltet in die Kommode. Der Tuchmantel kam an den Haken an der Türe, die Schuhe vors Bett. Anschließend schob sie die nun leeren Kisten in die Nische hinter der Tür und stellte sie aufeinander. So würden sie nur wenig Platz in der engen Kammer wegnehmen und bildeten obendrein noch eine Ablage.
    Ihr Jesuspüpplein hatte sie zunächst achtlos auf der Kommode abgelegt, direkt unter das Kruzifix. Was sollte sie damit? Sie würde doch jetzt hier im Kloster nicht damit beginnen, mit Puppen zu spielen.
    Aber was sollte sie in dieser winzigen Zelle anfangen? Nicht einmal von einer Wand zur anderen konnte man gehen, weil dazu der Platz fehlte. Ihre Bücher waren zusammen mit den Mitgiftunterlagen schon im Vorfeld hier angekommen und – dem Kloster einverleibt. Selbst ihre liebsten und privatesten Bücher samt den Widmungen und ihren persönlichen Notizen darin waren nun in der Bibliothek für alle zugänglich, nicht aber für sie, jetzt. Wenn sie wenigstens Sebastians Buch im Arm halten könnte! Seine warmen Worte hatten es ihr immer leichter gemacht, ihm zu glauben, dass er sie trotz allem liebte, nur eben ...
    Sie presste vorsichtshalber die Fäuste auf ihre Augen, die schon wieder heiß zu werden begannen. Atmete tief durch. Er war nicht bei ihr. Weil er nicht bei ihr sein wollte. Darum zu heulen, war überflüssig und demütigend. Und sie hatte es, weiß Gott, schon ausgiebig getan. Entschlossen straffte sie den Rücken und blickte sich um. Waren die Wände näher gekommen? 'Müßiggang ist aller Laster Anfang', hörte sie Schwester Jordanins Stimme in ihrem Kopf. Der Rosenkranz. Das war es! Rasch holte sie ihn hervor, kniete sich auf die hölzerne Bank und begann mit ihrem Bußgebet, indem sie das Kreuz in die Hand nahm: „Credo in deum patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae ...“
    Ihre Finger rückten vom Kreuz in die Lücke vor der ersten Perle: „
Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis ...“
 
    So, jetzt das erste 'Vater unser'. Sie würde heute bei Latein bleiben und begann: „
Pater noster qui es in caelis: sanctificetur nomen tuum ...“  
    Nun die drei Ave Maria: „Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum ...“  
    Jetzt kam das erste der fünf Gesätze, die immer mit einem Vater unser begannen, gefolgt von zehn Ave Maria. Mathilda griff nach der größeren Perle und konzentrierte sich.
     
    Irgendwann einmal, nach dem dritten Gesätz, begannen ihre Augen, die sie lange Zeit mit Bedacht ausschließlich auf das Holzkreuz gerichtet hatte, im Raum umherzuschweifen. Während ihre Lippen von alleine weiter beteten, registrierten ihre Augen die Spinne in der Ecke. Die würde sie nachher gleich aus dem Fenster schmeißen. Aber jetzt wieder Konzentration.
    Die nächste Perle: „Ave Maria ...“
    Irgendwie wollte sich die Versenkung, die tiefe Konzentration auf das Kreuz, auf Gott und seine Anbetung heute nicht einstellen. Dafür sah Mathilda Staubfäden an der Wand, Unebenheit im Putz, die Maserung im Holz der Kommode, längsgestreift in verschiedenen Brauntönen, ab und zu unterbrochen von runden Astwirbeln – und blieben schließlich an dem Jesuspüpplein hängen.
    Neue Perle. Sie würde es jetzt auf Deutsch probieren: „Gegrüßet seist du, Maria ...“
    Da lag es, nackt, ungeschützt, auf hartem Holz, der kühlen Raumluft ausgesetzt. Einen lebenden Säugling durfte man so nicht behandeln. Einer Puppe jedoch machte das nichts aus. Schön war es dennoch nicht. So wie die Puppe dalag, wirkte sie doch sehr – lebendig.
    Mit einem Mal hatte Mathilda es eilig, ihren Rosenkranz zu beenden. Gleich danach würde sie sich darum kümmern, dass die Puppe ein warmes Bettchen bekommen würde.
    „... Unser tägliches Brot gib uns heute und führe uns in die Versuchung ...“
    Mathilda erstarrte. Was redete sie denn da? Sie schüttelte den Kopf und riss sich noch einmal zusammen: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen ...“
    Dann war es

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