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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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geschafft. Sie stemmte sich von der Bank hoch. Ihre Knie schmerzten, aber war das ein Wunder? So viel Zeit wie heute hatte sie noch nie darauf verbracht. Sie streckte sich, ließ den Rosenkranz auf die Kommode gleiten und griff zur Puppe.
     
    Zufrieden betrachtete sie schließlich ihr Werk. Sie hatte die Puppe in eine ihrer Hauben eingewickelt und dann in der Schublade mit den Handtüchern ein warmes Nest gebaut. Darin lag nun das Jesuskindlein wohlbehalten. Mathilda fand, dass das deutlich Ähnlichkeit mit einer Krippe habe. Der Gedanke, sie wäre Maria und dies ihr Neugeborenes, gefiel ihr plötzlich. Sie vergewisserte sich, dass es wirklich sicher und warm lag, dann zog sie sich die Kutte aus, löschte die Kerze, die unter dem Kruzifix stand, schlüpfte in das Bett und deckte sich warm zu.
    Im schwachen Licht, das vom Nachthimmel in ihr Zimmer drang, sah sie mit hinter dem Kopf verschränkten Händen an die Zimmerdecke. Jetzt war es soweit, sie war im Kloster.
    Wie hatte sie diesen Tag gefürchtet! Hatte sich nächtelang schlaflos im Bett gewälzt und tapfer versucht, sich nicht in den schwärzesten Farben auszumalen, was hier auf sie zukommen würde. Und nun ... musste sie feststellen, dass die Wirklichkei t zwar betrüblich, aber lange nicht so schlimm war wie ihre Ängste. Es war schwer, es war sogar trostlos. Doch selbst hier gab es Menschen, die sie mögen, denen sie sogar nah sein könnte. Katharina, schon jetzt wurde ihr warm ums Herz, wenn sie an sie dachte. Oder den Beichtvater. Vielleicht sogar die Äbtissin persönlich, die so vertrauenerweckend aussah und nicht bei der Beichte lauschte. Mathilda erschauderte erneut. Wenn die wüsste, wie oft sie irgendetwas Verwerfliches dachte. Und von ihrer Liebe, die hier eine verbotene war. Die überhaupt verboten ist, verbesserte sie sich grimmig. Und nein, sie würde nicht schon wieder an Sebastian denken. Stattdessen würde sie das ausprobieren, was der nette Beichtvater ihr vorgeschlagen hatte, um ihren Kummer zu überwinden. Und sich auf Jesus konzentrieren. Auf den Mann, nicht das Püppchen. Mathilda schloss die Augen und gab ihr Bestes.

Dienstag, 18. Oktober 1521
    Arbeit soll nicht weltlicher Nichtigkeit dienen
     
    Die Schwestern sollen ihre Beichte bei den also geordneten Fenstern tun, das sie mögen gehört, aber mitnichten gesehen werden … Daselbst soll man in der Wand ein Rad haben,dadurch die notdürftige Ding zu nehmen und zu geben seien.
    Aus den Klosterregeln der Heiligen Birgitta
     
     
    Mathilda hatte das Gefühl, überhaupt noch nicht geschlafen zu haben, als sie von einem durchdringenden Geräusch geweckt wurde, das immer wieder für Augenblicke verstummte, nur um dann mit erneuter Penetranz wieder zu beginnen. Sie brauchte einen Moment, bis sie erkannte, dass es sich dabei um eine Ratsche handelte, mit der jemand langsam im Korridor auf- und ablief. Stöhnend richtete sie sich auf. Es war noch völlig dunkel. Sie musste also erst einmal die Kerze entzünden. Die Frage war bloß, wie?
    Hastig stieg sie aus dem Bett und lief zur Zellentüre, um die dort immer noch auf- und abschreitende Ratscherin zu fragen.
    Ihr Lichtproblem löste sich dort sofort in Wohlgefallen auf. Die Nonne mit der Ratsche hatte eine brennende Kerze in der Hand – und entzündete nicht nur die Korridorbeleuchtung, sondern auch alle Kerzen, die ihr in stummer Aufforderung entgegengehalten wurden. Dabei senkte sie jedes Mal die Ratsche, die sofort verstummte – um dann mit erneuter Wucht wieder zu beginnen.
    „Guten Morgen“, sagte Mathilda höflich, als die ältliche Nonne bei ihr angelangt war. Sie wurde mit einem vehementen Kopfschütteln gerügt.
    Oh, sie hatte ihre Schweigepflicht vergessen! „Entschuldigung“, murmelte sie schlaftrunken, wandte sich unter den erbosten Blicken der schweigenden Nonne um, ging in ihre Kammer zurück und schloss die Türe hinter sich.
    Kurze Zeit darauf verstummte die Ratsche endgültig.
    Das Wasser im Krug war eiskalt. Mathilda trank erst einen großen Schluck, den Rest schüttete sie in die Waschschüssel. Dann zog sie ihr Unterkleid aus und wusch sich.
    Leise Schritte auf dem Flur erinnerten sie daran, dass jetzt das erste Gebet des Tages anstand. Alleine würde sie den Weg in die Kapelle wohl noch nicht finden, deswegen schlüpfte sie, so schnell es ging, in ihre Kutte und fuhr sich mit den Händen über den Kopf, dankbar dafür, dass sie gestern Abend den Zopf nicht mehr gelöst hatte. Unter dem Geläut der grellen
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