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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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herausrücken, hätte beinahe gelacht.
    Mutter Örtlerin deutete den Kampf in ihrem Gesicht ganz anders. „Es ist Gott, nicht wahr? Kannst du ihn nur sehen oder richtet er sogar sein Wort an dich?“
    Was jetzt? Die Wahrheit zu sagen war ganz und gar ausgeschlossen, also musste sie lügen.
    „Ein Mann“, keuchte sie aufgeregt.
    „Du kannst ihn nicht so genau erkennen?“
    Mathilda nickte.
    Doch der Äbtissin reichte das. „Es könnte also Jesus sein oder sogar der Herr selbst.“ Sie lächelte Mathilda beglückt an und legte ihre beiden Hände auf ihr Herz. „Kind, ich wünsche, dass du dich weiterhin deinen Kontemplationen hingibst. Wann immer du möchtest, wo auch immer sie sich bei dir einstellen. Hast du das verstanden?“
    Sie schwieg einen Moment, doch ihre Lippen bewegten sich weiter, als müsse sie ihre Gedanken erst in Worte fassen. „Weißt du, wie glücklich du mich damit machst? Wir hatten noch nie eine Nonne hier, die Gottesvisionen hatte.“
    Mathilda nickte nur stumm und flehte Gott an, sie möglichst schnell aus diesem unmöglichen Gespräch zu entlassen. Heute mochte Mutter Örtlerin sich mit Nicken und Halbwahrheiten zufriedengeben, aber das nächste Mal würde sie mehr wissen wollen. Und dann? Was sollte sie dann tun?
    Mit dem starken Gefühl, sich gerade in eine schreckliche Situation hineinmanövriert zu haben, stand Mathilda auf. „Kann ich jetzt zum Unterricht gehen?“
    „Gewiss“, begann die Äbtissin lächelnd, aber sichtlich geistesabwesend.
    Doch als sich Mathilda schon abgewandt hatte und auf dem Weg zur Türe war, wurde sie zurückgerufen.
    „Halt, noch etwas.“
    Sie sah sich um. Die Äbtissin hatte jetzt ein Schriftstück vor sich liegen.
    „Es ist ...“, ihre Stimme klang auf einmal anders, nicht mehr warm und verständnisvoll, sondern kühl, sachlich. „Ich habe eine unangenehme Aufgabe“, begann sie und wies auf den Tisch. „Da ist ein Brief gekommen.“
    Mathilda erstarrte. Ein Brief? „Für – mich?“
    Auf einmal stürzte alles auf sie ein. Sie hatte Pater Heussgen ihren Brief gegeben und es war ganz und gar ausgeschlossen, dass ihr Vater seine Antwort direkt hier ans Kloster gerichtet haben würde. Dies musste also die von ihr die ganze Zeit schon befürchtete schlechte Nachricht sein.
    Mutter Örtler wies mit der Hand auf den Stuhl, doch Mathilda schüttelte den Kopf. Nein, nicht hinsetzen.
    „Hier ist der Beweis, dass du heimlich Briefe aus dem Kloster geschleust hast“, begann die Äbtissin und hob die Augen von dem Papier, um sie vorwurfsvoll in Mathildas zu bohren.
    „Du hast mit diesem Luther-Anhänger Heussgen kooperiert und das ist mehr als verwerflich.“
    Mathilda wartete reglos auf heftige Vorwürfe. Die eigenartigerweise ausblieben.
    „Er wird dich mit seinen Reden eingelullt haben“, fuhr die Äbtissin in diesem Moment auch schon fort. „Aber das wird jetzt ein Ende haben. Ein paar Tage noch ... Ich will schon dafür Sorge tragen, dass er keine Gelegenheit mehr haben wird, seine unguten Reden weiterhin zu verbreiten.“
    Sprachlos starrte Mathilda die sich ereifernde Frau an. Abscheu stand auf deren Gesicht, Hass. Sie atmete geräuschvoll ein und wieder aus. Dann sprach sie ruhiger weiter: „Jedoch in Anbetracht der ... Entwicklungen bei dir und unter Berücksichtigung dessen, was ich dir noch zu sagen habe, will ich in diesem Punkt nachsichtig sein. Immerhin bist du sonst in jeder Hinsicht ein braves Kind gewesen.“
    Und während Mathilda stumm nickte, fasste die Äbtissin nach dem Brief.
    Mathilda wappnete sich, jetzt sicher, dass der eigentliche Schlag noch kommen würde.
    „Dein lieber Bruder hat mir geschrieben.“
    Mathilda hob das Kinn. Friedemann - und lieb?
    „Er hat die traurige Pflicht, dir mitzuteilen, dass euer Vater gestorben ist. Schon im Oktober, ganz kurz, nachdem du hier angekommen bist.“
    Mathilda hörte eine Glocke. Einmal, zweimal. Sie wandte den Kopf, hob ihn suchend. Woher kam der Klang? Er war irgendwie – schaurig schön.
    „Hört Ihr das auch?“, fragte sie, als die Glocke nicht aufhören wollte zu schlagen.
    „Was, mein Kind?“, fragte die Äbtissin, immer noch den Brief in der erhobenen Hand. „Was soll ich hören? Hörst du wieder Gesang? Hast du eine Vision?“
    „Nein“, sagte Mathilda und schüttelt den Kopf. Und auf einmal war da nur noch Abwehr. „Nein!“ Sie konnte nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln, sogar ihre hochgerissenen Hände vermochten ihn nicht mehr zum Stillstand zu

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