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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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bringen. „Nein, nein, nein!“
    „Es ist gut, mein Kind“, sagte die Äbtissin und machte einen Schritt auf sie zu, streckte die Hand nach ihr aus. „Dein Vater ist jetzt bei Gott, das ist doch ein schöner Gedanke.“
    „Nein!“
    Plötzlich stand Mathildas Kopf still. Sie war wieder Herrin über ihren Körper. „Nein“, wiederholte sie noch einmal und wandte sich ab. Ließ die Äbtissin, die hinter ihr erstaunt aufächzte, einfach stehen und ging davon. Langsam, bedächtig, als müsste sie jeden Schritt erst überlegen. Sie dachte sogar an ihre Lampe, die sie im Eingang hatte stehen lassen, und freute sich, dass das Licht inzwischen nicht erloschen war. Sie würde jetzt das tun, was sie die ganze Zeit schon hatte tun wollen: zu Arno gehen. Mit ihm reden. Ihn fragen, ob er sie wollte und mit ihr von hier fortginge. Wenn ja, würde alles gut werden. Würde er jedoch nein sagen, gab es wirklich nur noch einen Weg für sie.

Der finstere Gang der Entscheidung
     
     
    Eigentlich war es ein durch und durch unangenehmes Gefühl. Das hatte er in all den Jahren fern der Frauen tatsächlich vergessen. Wenn man es sich genau überlegte, war es wie eine Krankheit. Eiskalte Hände, Herzflattern, Atemnot, Bauchgrummeln, Schweißausbrüche. Am liebsten wäre er umgekehrt. Hätte sich irgendwo verkrochen und abgewartet, bis es vorüber war. Was jedoch nicht eintreten würde – das hatte er lange genug probiert. Nein, er musste sich überwinden, die Abwehr seines Körpers zu ignorieren und sich dem zu stellen, was er zu tun hatte. Er seufzte tief. Tragisch war nur, dass es in diesem Fall zu nichts führen würde, wenn er diese Aufgabe erfüllte. Denn für eines hatte er die Garantie: Nachher würde er sich noch viel schrecklicher fühlen als jetzt.
    Entschlossen sprang er von den Stufen auf, wo er gesessen hatte, und stürmte um die Kirche. Den Blick über den Friedhof vermeidend, lief er daran vorbei zum Finsteren Gang, riss das Tor auf und stürzte sich hinein. Das sich um ihn senkende Schwarz verlangsamte alles, sogar seinen Herzschlag. Nun konnte er nur noch warten.
     
    Gedämpftes Fußgetrappel am anderen Ende. Das Knarren des jenseitigen Tores, jäh eindringendes Licht, welches nach neuem Poltern sogleich wieder ausgesperrt wurde – ein schwaches, flackerndes Licht jedoch blieb. Und Schritte.
    Arnos Herz war erneut losgerast. Ehe er zuwege gebracht hatte zu schlucken, trat sie auch schon um die Ecke in sein Blickfeld. Sie ist es. Sie ist da. Im selben Augenblick sah er sie zusammenfahren, das Licht ihrer Lampe erzitterte.
    Mein Gott, sie kann mich ja nicht sehen und muss mich für – wer weiß wen halten. „Mathilda, ich bin es.“ Seine Stimme ein Krächzen.
    Würde sie ihn trotzdem erkennen? Ihr Gesicht zu weit entfernt, zu dunkel, um darin zu lesen. Seine Beine – er hatte es nicht vorgehabt, natürlich nicht. Es geschah einfach. Er ging. Vorwärts.
    Mathilda jedoch war stehengeblieben.
    „Arno?“ Nun setzte auch sie sich wieder in Bewegung.
    Heftig brach es aus ihr heraus: „Mein Vater! Der Brief! Sie wissen alles, und deswegen wird Heussgen verhaftet, und sie denkt, ich habe Visionen, und ich soll geweiht werden“, ratterte sie herunter, sich dabei mit ihrem Blick verzweifelt in seinem Gesicht festklammernd. Doch dann veränderten sich ihre Augen. „Aber du bist endlich ...“ Sie kam auf ihn zu, ihre Arme offen. Schneller werdend und - lächelnd?
    Es war falsch. Es sah aus, als ob ... Und doch war es so. Arno und Mathilda gingen einander entgegen, mit ausgebreiteten Armen, aufeinander zu, bis –
    Es ging nicht anders. In diesem Moment lächelte sie, doch sie hatte soeben vom Tode ihres Vaters erfahren, deshalb war er hier. Jedenfalls in diesem Augenblick. Er öffnete seine Arme, und die Wucht, mit der Mathilda an seinen Körper prallte, machte ihn im ersten Moment schwanken. Doch dann umschlang er sie mit aller Kraft und hielt sie so fest, dass sie endlich loslassen konnte.
    Und das tat sie. Sie ließ sich von ihm halten, und er spürte, wie allmählich die Spannung von ihr wich, wie sie in seinen Armen ausatmete und seufzte und schließlich ganz schwach wurde und zu weinen begann. Er stand und hielt sie, so fest er konnte, während sie weinte und weinte.
     
    Dunkelheit. Nur der kleine Schein der zu ihren Füßen abgestellten Lampe. Ruhe. Mathildas Schluchzen war lange verebbt und einem tiefen und getrösteten Atmen gewichen, das sich in Arnos eigenen Körper fortsetzte. Wie diese Wärme. Ihre

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