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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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dass er etwas hätte sagen müssen. Mit ungebrochenem Eifer erwartete sie seine nächste Frage. Eine knifflige, die er sich bereits zurechtgelegt hatte. Und Mathilda enttäuschte ihn nicht.
     
    Gedankenvoll blickte Arno ihr nach, als sie nach Unterrichtsende – rotwangig nach all der Kopfarbeit, aber im selben Tempo wie auf dem Hinweg – unter seinem Fenster vorbei dem Finsteren Gang entgegeneilte. Selbstverständlich hatte er die beiden Männer noch einen Moment zurückbehalten. Erst jetzt nickte er ihnen zu, und auch sie machten sich auf den Weg, in die entgegengesetzte Richtung, zum Männerkonvent.
    Nach der viermalig schlagenden Kirchturmuhr horchend, ließ Arno sich noch einmal auf seinem Platz nieder, lehnte sich zurück und lockerte seine Schultern.
    Warum war er so verspannt?
    Weil die neue Situation auch ihn forderte.
    Wie genau? Was an Mathilda von Finkenschlag war anstrengender als an den übrigen Nonnen um ihn herum?
    Sie war seine Schülerin, ihm damit natürlich näher als die übrigen Frauen, denen er hier begegnete.
    Was machte den Umgang mit ihr komplizierter als den mit männlichen Novizen? Sie war klug und interessiert, würde auf die Dauer nicht hinter den beiden Männern zurückstehen. Es gab keinen Grund, sie anders zu behandeln – anders über sie zu denken – als über seine männlichen Schüler.
    Aber ich denke anders über sie, konnte er nicht leugnen. Weil ich sie in ein Forschungsunterfangen eingebunden habe!, fand er sogleich die Lösung. Sein Liebesexperiment. Das war interessant und eine willkommene Abwechselung in seinem Alltag, machte das Mädchen jedoch zu etwas Besonderem. Eine Nebenwirkung, die er gern in Kauf nahm, oder?  
    Mit einem energischen Ruck sprang er auf, um drüben den Originaltext von Thomas von Kempen herauszusuchen, den er morgen mit ihr zu übersetzen beginnen würde. Sein Blick blieb an dem Exemplar hängen, das nun zuoberst auf ihrem Mitgiftstapel lag. Sollte er es dort belassen? Es reizte ihn, ihr Schwächen in dieser Übersetzung aufzuzeigen. Andererseits wäre Mathilda gewiss zu abgelenkt der emotionalen Bedeutung wegen, die das Ding für sie besaß ...
    Ob eine Widmung drinnen steht? Der Gedanke hatte ihn regelrecht zusammenzucken lassen. Das ging ihn nichts an – und er würde ja wohl nicht anderer Leute Liebesbriefe lesen wollen!  
    Als ihr Beichtvater hatte er bewusst nicht nachgehakt, wie weit ihre Beziehung mit diesem Mann gegangen war. Zu genau hatte er Pater Paul, den Beichtvater seiner Jugend, vor Augen, genauer: vor Ohren. Wie der mit nur unzureichend unterdrückter Lüsternheit sich an Jung-Arnos unkeuschen Erfahrungen zu berauschen versucht hatte, indem er genauer und immer präziser nachgefragt hatte. Sicher, es war notwendig, fleischliche Sünden dingfest zu machen, um sie ausmerzen zu können und die Seele des frommen Menschen wieder freizugeben. Meist ergaben sich derlei Antworten aber ganz organisch in den folgenden Beichten – weil der Betroffene selbst das Bedürfnis hatte, sich alles Sündhafte, was ihn bedrückte, von der Seele zu reden.
    Äh ... was hatte er vorgehabt? Den Kempen zu suchen, natürlich! War es da nicht ein wenig kontraproduktiv, hier im leeren Klassenzimmer herumzustehen und Löcher in die Luft zu starren? Was war überhaupt mit ihm los?
    Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung und erreichte die anscheinend ebenfalls verwaiste Bibliothek. Die modernen theologischen Werke befanden sich am Fenster zum Innenhof. Was war denn so irritierend daran, sich Mathildas Verehrer als gebildeten Mann vorzustellen, der der Dame seines Herzens zum Abschied einen Klassiker der modernen Theologie geschenkt hatte? Was war es, dass ihm das um einiges gefährlicher erschien, als wenn die beiden sich lediglich körperlich ...
    Gefährlicher? Er hustete. Was waren das für Gedanken? Es ging doch darum ... Nein! Entschlossen schüttelte er den Kopf. Es ging schlicht und ergreifend darum, dass er eine Wesensart des Allgemeinmenschlichen erforschen wollte – und dabei wirkte sich das Geistige nun einmal verkomplizierend aus. Das war alles.  
    Dass Mathilda von Finkenschlag trotz ihrer so deutlich wahrnehmbaren profanen Eigenschaften alles andere als ein schlichtes Gemüt war, war ihm spätestens nach dieser ersten Unterrichtsstunde klar. Und in der Tat erschwerte das Arnos Forschungen. Allerdings konnte man diesen Umstand auch positiv deuten: Mathildas intellektuelle Ambitionen sorgten dafür, dass ihr Konflikt – himmlische oder

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