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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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das für sie gedachte Schreibpult, auf dem er die Bücher und Pergamentrollen gestapelt hatte, die in ihrer Mitgift enthalten waren – welche strenggenommen erst mit ihrer Weihe ins Eigentum des Klosters übergehen würden. Ihr dankbares Lächeln sagte ihm, dass sie seine Geste als solche wahrgenommen hatte.
    „Im Regal dort drüben befinden sich Pergament, Federn und Tinte“, wies er sie weiter an. „Erstellt eine Liste aller Autoren, die Ihr in Eurer bisherigen Ausbildung gelesen habt. Ich werde derweil mit den Männern durchgehen, was ihre heutige Aufgabe sein wird. Anschließend komme ich zu Euch, um zu besprechen, wie wir des weiteren miteinander ... verfahren.“
    Er räusperte sich, hoffend, dass keiner der Anwesenden sich über die Wahl des irgendwie verfänglich anmutenden Wörtchens ‚ miteinander’ wunderte.  
    Rasch winkte er beide Novizen auf einmal an einen Tisch; es konnte nicht schaden, deren Aufmerksamkeit synchron auf den Unterrichtsstoff zu lenken.
     
    Arno war gern Lehrer. Er beschäftigte sich am allerliebsten mit Büchern und deren Inhalten, es bereitete ihm Freude, sein Wissen mit anderen zu teilen und auch seinerseits sich von neuen Impulsen inspirieren zu lassen. Mit dieser Haltung hatte er bisher bei fast all seinen Schülern erreicht, dass sie sich mit Eifer und Fleiß in ihre Studien gestürzt und auch Ehrgeiz entwickelt hatten, sich ihm zu beweisen.
    Im Laufe des letzten Jahres hatten ihn vier Novizen verlassen. Einer gen Rom, wo er direkt aus dem Noviziat zum Kardinal geweiht worden war – noch vor seiner Priesterweihe. Jammerschade, gerade diesen vielversprechenden jungen Seelsorger an die römischen Sümpfe der Simonie verloren zu haben. Die anderen drei waren jeweils hier zum Priester geweiht worden, hatten die Profess abgelegt und sich auf ihre neuen Aufgaben im Konvent gestürzt, gaben sich also nur noch gelegentlichen Studien hin.  
    Übriggeblieben waren nur zwei Schüler.
    Georg Flüger war ein hochgewachsener, kräftig gebauter, blonder junger Mann von neunzehn Jahren mit gesunder Hautfarbe und immer guter Laune, der neben seinen Studien hier mit Vorliebe im Klostergarten arbeitete. Seine quirlige Vitalität hatte Arno anfangs zweifeln lassen, ob er sich im entweltlichten Leben zurechtfinden würde – dann jedoch hatte sich gezeigt, dass er mehr in sich selbst und in Gott ruhte, als Arno je bei einem so jungen Menschen erlebt hatte. Bruder Georg war im Konvent bei Jung und Alt äußerst beliebt und hatte ein hervorragendes Gespür dafür, wer gerade ein aufbauendes Gespräch – oder auch nur einen schweigenden Spaziergang mit ihm auf den Ländereien nötig hatte.
    Hartwig von Heucheln war ein Jahr älter als Georg und eine völlig anders gelagerte Persönlichkeit. Kleiner und schmaler als Georg, mit einem feingeschnittenen Gesicht und ernsten, dunklen Augen, die immer in eine innere Weite gerichtet zu sein schienen, egal, womit er gerade beschäftigt war. Ruhig und introvertiert war er, vergeistigt im ureigenen Sinne und am liebsten allein. Wann immer Arno ihn sah, steckte seine Nase in einem Buch oder in eigenen Aufzeichnungen. So versteckt äußerte sich seine Leidenschaft normalerweise – die man dem besonnenen jungen Mann kaum zutraute, wenn man ihn noch nicht in Unterricht oder Diskussion erlebt hatte. Im intellektuellen Zwiegespräch jedoch entflammte der Junge regelmäßig. Wenn es für ihn darum ging, einen Text zu begreifen – oder Arno dazu zu bringen, diesen Text neu zu begreifen. Wenn es um die Auslegung von Bibelstellen ging, um unterschiedliche Übersetzungsmuster, um Fragen der Liturgie. Seit Johannes Heussgen hier war und der Bibliothek regelmäßige Besuche abstattete, hatte sich zwischen dem jungen und dem reifen Mann schon manch stürmischer Disput entzündet. Und dass die Besuche des Älteren stetig zahlreicher geworden waren und sich auch auf das Skriptorium ausgedehnt hatten, war für Arno das Zeichen, dass beide Seiten gleichermaßen davon profitierten. Weder Heussgens längere Krankheit im vergangenen Frühjahr noch der Umstand, dass er nach seiner umstrittenen Predigt an Fronleichnam von Palgmacher offiziell aus dem Konvent ausgeschlossen worden war, hatten Hartwig und ihn einander entfremden können.
    Arno konnte seinen Schüler da sehr wohl verstehen. Auch er selbst genoss es, Heussgens gewagt kritische, aber intelligente und aufwühlende Ideen zu durchdenken – auch wenn er als Vertreter des Priors seine Sympathie natürlich nicht so
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