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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Geschlechter einen ordnungsgemäßen Umgang miteinander pflegen konnten.
    Trotzdem kamen hier des öfteren Gespräche zustande – vor allem dann, wenn so mitteilsame Geschöpfe wie die junge Katharina sich während der Rekreation hierher geschlichen hatten (von der Örtlerin aus genau diesem Grund mittlerweile unterbunden), wenn Bruder Sandizell und Mutter Klöblin sich in bewährter Zufälligkeit dort trafen oder Pater Heussgen in der ihm eigenen, Austausch provozierenden Art den Raum betrat.
    Doch wenn man die gesamte Belegschaft einbezog, waren das Ausnahmen – auf den überschaubaren Kreis der Studierenden begrenzt.
    Daher war es durchaus nachvollziehbar, dass für die meisten Nonnen und Mönche die Existenz des anderen Geschlechtes mit zunehmender Zeit in dieser separierten Welt zu einer abstrakten Kenntnis verblasste.
    Umso spannender jetzt, dass es Georg, der außerhalb der Unterrichtszeiten selten hier anzutreffen war, sichtlich Energie kostete, sich in Gegenwart eines weiblichen Wesens normal zu verhalten.
     
    Souverän begab sich Arno hinüber an den Tisch der jungen Frau, die ihm, schon wieder lächelnd, erwartungsvoll entgegenblickte – bis sie sich offenbar daran erinnerte, dass er ein Mann war und sie ihre Augen senken musste.
    „Ist Eure Liste fertig?“, fragte Arno sachlich.
    Sie nickte beflissen und schob sie ihm hin.
    Er überflog die ansehnliche Reihe alter und zeitgenössischer Schriftsteller und Philosophen, welche die der von ihr mitgebrachten Bücher bei Weitem überstieg. Ihr Lehrer musste ein vielseitig gebildeter Mann gewesen sein. Wenn sie nur einen Bruchteil von diesem Stoff verstanden hatte, gäbe sie eine äußerst vielversprechende Schülerin ab, die zu lehren sehr erfüllend werden konnte ...
    Gerade wollte Arno sich den Augustinus vornehmen, um ihr diesbezügliches Wissen zu prüfen, als ihm etwas auffiel. „Ihr habt Thomas von Kempen vergessen.“ Er zog selbigen – die neue Übersetzung eines seiner Meinung nach recht fanatischen jungen Braunschweigers, weswegen sie ihm aufgefallen war – aus dem Stapel ihrer Mitgift hervor.
    „Den habe ich noch nicht gelesen, Vater, äh, Hochwürden“, verbesserte sie sich rasch.
    „Pater Arno genügt“, wies er sie an und legte ihr Exemplar der ‚Nachfolge Christi’ wieder zurück. „Wenn Ihr dieses Buch lesen wollt, so möchte ich Euch das Original in die Hand geben. Gerade diese emotional besetzte Lektüre hat so manchen Übersetzer zu recht merkwürdigen Blüten inspiriert, die meines Erachtens den eigentlichen Sinn verfälschen – und ich verlange von meinen Schülern, sich eine eigene Meinung darüber zu bilden.“
    „Es ... wurde mir geschenkt.“
    Sie hatte so leise gesprochen, dass er sie beinah überhört hätte. Die unterdrückten Emotionen in ihrer Stimme ließen ihn irritiert blinzeln. Er sah sie schlucken.
    Er. Er hat es ihr geschenkt. Im Wissen, dass sie zu den Ordensleuten gehören würde, die in der Schrift so oft explizit angesprochen wurden? Was sagte das über die Beziehung zwischen den beiden aus?  
    Und was sollte er, Arno, darauf antworten? Dann ist es wichtig, dass Ihr Euch davon freimacht, wäre das, was er normalerweise entschieden hätte. Lasst das Alte hinter Euch, geht neue Wege! Doch wäre das in ihrem Falle nicht kontraproduktiv?  
    „Dann solltet Ihr es lesen“, hörte er sich vollkommen überzeugend vorbringen.
    Ihr wehmütiges Lächeln sagte alles. „Ich danke Euch, Pater. Das ... würde ich sehr gern.“
    „Natürlich im Original, wie ich gesagt habe“, fügte er ziemlich lahm hinzu.
    Ihr Nicken verstärkte sich.
    Er schenkte ihr ein neutrales Lächeln und stellte ihr die erste Frage zu Augustinus' Werk: „Welche Rolle weist der Autor Jesus Christus bei der Ausbildung der 'wahren Religion' zu?“  
    Sie war in der Lage prompt zu antworten und zeigte auch bei den folgenden Themen, dass sie nicht nur in der Lage war, diese richtig wiederzugeben, sondern sie auch verstanden und sich ihre eigenen Gedanken dazu gemacht hatte. Zunehmend angetan, suchte Arno nach den interessantesten Fragen und begann schon nach kurzer Zeit, sie möglichst offen zu formulieren, um ihr größtmöglichen Spielraum zu gewähren.
    Als es zu Nona läutete und er seine Schüler zu den übrigen Ordensleuten ins Skriptorium geleiten musste, hätte er am liebsten weiter mit ihr gearbeitet. Und auch sie machte den Eindruck, als ob sie noch nicht genug hätte.
    Nach der Hore fanden sie beide sich wieder zusammen, ohne

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