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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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selbst. Und das, obwohl sie die ganze Zeit gekniet oder gestanden war. Selbst Katharina, die ja eigentlich eine schreckliche Nacht hinter sich haben musste – Mathilda erschauderte allein bei der Erinnerung, wie sie da auf dem kalten Steinfußboden des Kapitelsaals gelegen hatte – wirkte deutlich ausgeschlafener als sie.
    Überhaupt Katharina: Sie hatten kein Wort mehr gewechselt, was angesichts Mathildas strengen Silentiums ja auch richtig gewesen war. Aber sie hätte doch zu gerne gewusst, was gestern geschehen war, warum Katharina nach Schwester Jordanin gerufen und wohl auch mit ihr gesprochen hatte.
    Ob Mathilda das jemals erfahren würde? Solange sie schwieg, sicher nicht, das stand fest. Sie seufzte. Wie konnte sie schweigen, wenn sie doch alles hier erst kennenlernen musste? Wie konnte man denn überhaupt Neues in sich aufnehmen, vertraut werden mit Menschen, die man nicht einmal ansprechen durfte? Selbst wenn sie nur stumm lächelte, trafen sie zuweilen ernst mahnende Blicke. Das war bisher eindeutig das Schwierigste. Keine Fragen stellen zu dürfen. Nur Schwester Schönratin , dachte sie und hätte beinahe bitter aufgelacht. Ausgerechnet die, mit der sie ganz sicher nicht reden wollte, war die einzige Person, mit der sie das durfte, ohne zu sündigen.
    Wenn sie an ihre Befürchtungen dachte, die sie noch vor Kurzem geplagt hatten – keine persönlichen Dinge zu besitzen, dauernd beten zu müssen, nie mehr nach draußen zu kommen, das alles wirkte nichtig vor der Tatsache, so furchtbar einsam zu sein. Genauso war es nämlich, sie war hier einsam. Den ganzen bisherigen Tag hatte sie inmitten einer recht ansehnlichen Gruppe von Menschen verbracht – und doch war sie völlig alleine gewesen. Sicher, Katharina hatte sie nicht gesehen. Doch selbst wenn, hätte Mathilda keinen Kontakt zu ihr aufnehmen können, ohne dass sie beide dafür bestraft worden wären.  
    In ihrem Leben hatte es bisher immer Menschen gegeben, die ihr nahegestanden waren. Mit denen sie hatte sprechen können, mit ihnen lachen, sich mit ihnen austauschen, sie berühren. Sicher, es hatte auch andere gegeben. Solche, mit denen sie all das gar nicht gewollt hätte. Aber die hatten einfach keine große Rolle gespielt.
    Mathilda hatte jetzt aber das Gefühl, hier von genau diesen Menschen umgeben zu sein. Bis auf Katharina – und vielleicht Edeltraud.
    Du bist ungerecht , schalt sie sich. Die anderen kennst du doch noch gar nicht. Aber war nicht genau das ihr Problem? Wie sollte sie sie kennenlernen und feststellen, ob sie nett waren? Ihr war doch jede Möglichkeit dazu genommen.
    Mit dem Gefühl, das Silentium sei eine schwere Strafe, bog sie um die letzte Ecke – und fand sich inmitten schweigender Laienschwestern wieder, die sich vor der geschlossenen Klostertüre versammelt hatten.
    Mathildas Schreck, so plötzlich und ohne Vorwarnung von fremden Menschen umgeben zu sein, wich Erleichterung, als sie unter ihnen Edeltraud ausmachte. Die ihr auch sofort zulächelte. Als aber Schwester sogenannte Schönratin erschien, senkte sie Augen und Kopf. Mathilda faltete die Hände unter dem Skapulier und tat es ihr gleich.
    Es ratschte laut in dem metallenen Schloss, als die Schönratin den großen Schlüssel darin drehte. Dann endlich schwang die Klosterpforte weit auf. Kühle Morgenluft drang herein und ließ Mathilda sich dankbar in ihren warmen Mantel schmiegen. Den würde sie ab jetzt wohl immer brauchen, wenn sie nach draußen ging. Tagsüber mochte es ja noch recht warm werden, in den frühen Morgenstunden jedoch war es bereits so kalt, dass sich kleine Wölkchen beim Ausatmen bildeten.
    „Mathilda!“
    Nicht nur sie schreckte zusammen, zu unvermutet war der Ruf über die schweigend ins Freie ziehenden Nonnen gekommen.
    Sie blieb stehen und wandte sich um. Die Schönratin, natürlich. Mit verkniffenem Lächeln stand sie vor der Klosterpforte und winkte Mathilda zurück, während der Zug der Nonnen weiterging.
    Mathilda, die den Weg nicht kannte, warf den davonziehenden Nonnen, die gerade in ein offenstehendes Tor bogen, einen verzweifelten Blick nach. Wie sollte sie alleine zu den Obstwiesen finden, wenn sie hier aufgehalten wurde? Einen Moment war sie versucht, der unangenehmen Nonne nur etwas Entsprechendes zuzurufen und den anderen zu folgen, doch dann siegte ihr Gehorsam. Die Pförtnerin, die ohne jeden Zweifel zu den Menschen gehörte, auf die sie gut verzichten konnte, war ihre Mentorin hier. Auf sie musste sie hören, ob ihr das

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