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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Entschlossenheit, schadenfroh zuzusehen, wie alles den Bach runter ging. Was das so schwierig machte, war lediglich, dass er sich in so hohem Maße für Mathilda verantwortlich fühlte.
    Er war ihr Priester, von daher war das durchaus legitim. Vielleicht war das einzige Problem daran die Tatsache, dass er gleichzeitig auch noch ihr Lehrer war. Es fiel ihm schwer, die beiden Rollen, die er für sie verkörperte, voneinander zu trennen ...
    Ein möglicher Ausweg, so hatte er sich überlegt, wäre, sich in einer der beiden Rollen zurückzunehmen. Als Priester war ihm das nicht möglich – da musste er alles geben, um sie auf ihrem christlichen Weg zu unterstützen. Als ihr Lehrer dagegen konnte er von ihr abrücken, den Umgang, den sie miteinander hatten, auf ein Minimum beschränken. Und das würde er tun.
     
    Mathilda und Georg redeten schon wieder miteinander, als Arno, der mit Hartwig im Skriptorium beschäftigt gewesen war, ein wenig verspätet in den Unterrichtsraum kam. Gut, sie redeten. Das hieß, dass seine Person verzichtbar war. Genau das, was er fördern wollte.
    „Ave Maria“, rief er den beiden beiläufig zu und schritt an seinen eigenen Tisch, um seine Unterlagen zu ordnen.
    Mit unfreiwilliger Befriedigung registrierte er, dass Mathilda von sich aus das Gespräch mit Georg beendete und an ihren Platz ging, um das dort bereitliegende Buch aufzuschlagen und offensichtlich ihn, Arno, zu erwarten. Ihn, den sie als ihren Lehrer ansah.
    Er war ihr Lehrer, aber zuerst musste er Georgs Hausaufgabe kontrollieren. Und als dessen Lehrer konnte er ihm die Aufgabe übertragen, an Arnos Statt Mathilda beim Lesen des von ihr ausgesuchten Textes zu helfen.
     
    Ja, die griechischen Vokabelstichproben bei Georg zeugten davon, dass der diesmal sehr wohl gelernt hatte. Es wäre also vertretbar, ihn – zwecks Vertiefung seines Lateins – eine Pause in der griechischen Lektüre machen zu lassen, damit er stattdessen mit Mathilda zusammenarbeiten könnte.
    Sie saß an ihrem Tisch bereit, ihm, Arno, noch immer erwartungsvoll zulächelnd, als er sich neben Georg aufrichtete, um diesem seinen neuen Arbeitsauftrag zu erteilen.
    Mathilda hob ihr Buch ein Stückchen an und verstärkte ihr Lächeln. „Hier, das möchte ich zuerst lesen.“
    Das werdet Ihr heute mit Georg tun – ich werde wieder zu Hartwig hinaufgehen. „Dann überlasse ich Euch Eurem Platon, Bruder Georg.“
    Äh ... Was hatte er da gerade gesagt? War das wirklich seine Stimme gewesen?
    Aber das war doch auch richtig! Arno hatte Mathilda bisher lediglich das Inhaltsverzeichnis übersetzen sehen, demnach keine Ahnung, wie sie mit einem längeren Text zurechtkäme. Diese diagnostische Aufgabe konnte er nicht auf einen Neunzehnjährigen abwälzen. Die war seine Pflicht als Lehrer. Und ihm eine Freude. Besonders bei Schülern, die vor Eifer strotzen, endlich anfangen zu dürfen – wie dieses junge Mädchen hier vor ihm.
    Anders als viele seiner Glaubensbrüder hielt er Spaß am Lernen nicht etwa für eine Sünde, sondern für eine günstige Voraussetzung, besonders effektiv zu lernen. Und Mathilda würde effektiv lernen, davon war er überzeugt.
    Er warf einen Blick auf die von ihr ausgewählte Zeile des Inhaltsverzeichnisses – und konnte nicht anders als zu grinsen. Prüfung der Liebe, lautete das Kapitel. Ja, es machte Spaß mit ihr. Unwillkürlich schoben sich seine Mundwinkel nach oben. Was Mathilda sofort unsicher machte.
    „Ich durfte mir doch etwas aussuchen, oder?“, vergewisserte sie sich vorsichtig.
    „Das Kapitel gehört zu denen, die ich Euch vorzuschlagen erwartet habe“, erklärte er. „Das war es, was mich amüsiert hat.“
    Nun sah sie verschmitzt aus.
    Spaß war keine Sünde. Er hob eine Augenbraue. „Aber es hätte auch das sein können.“ Und wies auf die betreffende Stelle.
    Sie beugte sich vor. „Was heißt ... Jesus ... zu lieben ... über alles.“
    Auch sie grinste, als sie wieder aufblickte. „Diese Stelle habe ich übersehen, als ich eine aussuchte. Aber die kommt natürlich auch noch dran.“
    „Gut.“ Er nickte, nun wieder vorschriftsmäßig ernst. Dass er heute ihr Lehrer sein würde, war in Ordnung. Doch nur, wenn er sich vor lauter Wohlgefallen nicht schon wieder dazu hinreißen ließe, die korrekten Umgangsformen zu vernachlässigen. „Dann ...“
    „Auf welche habt Ihr noch getippt?“, wollte dieses Mädchen dann mit schief gelegtem Kopf von ihm wissen.
    Arno vergaß auszuatmen. „Wir sind hier, um zu arbeiten,

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