... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)
Blätter rauschte. Das hatte ich zuvor eigentlich nie richtig gehört, und jetzt vernahm ich, wie das Rauschen von kleinen flötenartigen Lauten begleitet wird, wenn der Wind durch die Äste streift. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass Bäume kleine Symphonien von Tönen hervorbringen können. Regen erzeugte ein anderes, für mich neues Geräusch: Ich hörte, wie die Regentropfen auf die Windschutzscheibe und das Autodach prasselten und trommelten. Den Gesang der Vögel, das Tosen der Brandung an die Küste, den Klang der Musik zu hören – all das waren für mich unglaubliche Momente. Bisher hatte ich das Reich der Töne nur als flache, langweilige Landschaft voller Deformationen erlebt. Jetzt hatten Töne für mich zum ersten Mal eine dreidimensionale Qualität.
Während der Interviews wurden mir Fragen gestellt, wie: „Welche Töne können Sie jetzt hören, die Sie vorher nicht vernehmen konnten?“
Ich antwortete dann: „Ich habe eigentlich noch nie Vögel gehört. Ich wusste nicht, wie der Wind klingt. Musik ist ganz unglaublich und die Klarheit der Stimmen, auch meiner eigenen, ist kolossal.“
Das trieb Harry in den Wahnsinn! Er wollte, dass ich etwas bereits Vorbereitetes sagte, wie: „Meine Lebensqualität hat sich jetzt dramatisch gesteigert, und auch die Werte der Stimmenerkennung sind signifikant erhöht. Die Versicherungen sollten dieses Gerät bezahlen, Audiologen sollten sich damit vertraut machen, damit sie es ihren Patienten empfehlen können.“ Also versuchte ich solche Kommentare einzuarbeiten, aber die Medien waren viel mehr an dem persönlichen Aspekt der Geschichte interessiert. Wenn 19 von 20 Sätzen in einem Interview Harry gefallen hätten, würden sie genau denjenigen verwenden, der Harry verrückt machte.
Um mich noch mehr zu verwirren, waren die Public-Relations-Konsulenten begeistert von der Aufnahme bei den Medien und davon, wie gut meine Beschreibungen ankamen. Harry dagegen lehnte das völlig ab und setzte mir so zu, dass er sogar anfing, bei den Interviews dabei zu sein. Er setzte sich mir gegenüber und sagte mir mit lautlosen Mundbewegungen die Antworten vor. Das wiederum machte mich so nervös, dass ich nicht mehr normal sprechen konnte und meine Stimme einen gekünstelten, vorbereiteten Klang erhielt. Da meinten die PR -Konsulenten, dass sich die Qualität verschlechtere.
„Geoff hat eine natürliche Art, das zu artikulieren, was die Leute hören wollen, und genau das brauchen wir für die Geschichte“, beklagten sie sich bei Harry. „Wenn wir ihn zu viel coachen und ihm ein Script geben, verlieren wir das.“
Aber Harry blieb eisern. Ich verstand ihn, aber ich verstand auch die PR -Leute. Ich war echt in der Zwickmühle.
Ein paar Wochen nach der Aktivierung erhielt ich einen Anruf von Scotty Reid, einem Dreizehnjährigen, der an einem Projekt für die Schule arbeitete.
„Spricht dort Mr. Ball?“, fragte eine kleine Stimme.
„Ja“.
„Spricht dort der Mr. Ball?“
„ Denke schon. Ich arbeite bei Symphonix.“
„Ich schreibe einen Bericht über Sie für die Schule, und ich möchte wissen, wie alt Sie waren, als Sie daran dachten, ein Implantat für sich selbst herzustellen.“
„Ich denke, das war so ungefähr in deinem Alter, so mit 13 oder 14. Aber es stellte sich heraus, dass die damals erhältlichen für mich nicht funktionierten.“
„Hab ich mir gedacht. Also waren Sie 13, als Sie beschlossen, für sich selber ein Implantat herzustellen.“
„Na ja, nicht ganz. Das war schon viel komplizierter.“
„Wissen Sie, dass Sie der einzige lebende Cyborg sind“, unterbrach mich Scotty, „und ich möchte wissen, wie Sie darüber denken.“
„Wie? Worüber denken?“
„Na ja, dass Sie ein Cyborg sind. Ein Lebewesen, das sich reanimiert, wenn eine seiner Funktionen ausfällt, so wie in der Schlacht, und dann repariert es sich selbst. Sie sind der einzig lebende. Wie fühlt sich das an?“
„Ah, ja, hast Recht, Scotty, absolut. Ja. Ein Cyborg zu sein ist toll. Es ist echt cool, und das ist nur der Anfang. Wir hoffen, dass wir mehr Cyborgs in einem Kollektiv versammeln. Das wird fantastisch sein.“
„Das hab ich mir auch gedacht!“
Also unterhielten wir uns über Star Trek und die Unterschiede zwischen Cyborgs und bionischen Lebewesen, und ob ich wirklich ein Cyborg wäre oder eher nur ein Borg. Ich wusste zwei Dinge über Dreizehnjährige: Sie ändern selten ihre Meinung und man kann nie eine Diskussion gegen sie gewinnen. Scotty
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