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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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für immer still standen. Der eine lud Kohlköpfe, der andere Heu. Der eine trug einen Jägerhut statt roter Zipfelmütze und hob die Hand zum Gruße. Am liebsten aber mochte ich das Reh mit dem gesprenkelten Rücken. Es stand auf dem Boden direkt neben der Tür und war das erste, das man sah, wenn man die Hütte betrat. Seine Schüchternheit legte es nicht ab, egal, wie oft man es besuchte. Manchmal stellte ich einen der Zwerge hinaus, unter die Hecke oder neben die Regenrinne, aber mein Großvater bemerkte den Verlust sofort. Nicht, dass der sie am jeweiligen Standort entdeckte, nein, er sah den Fehler in der Ordnung, auch wenn ich die restlichen Figuren einfach ein Stück nachschob. Nicht viele Menschen hatten je diesen Schuppen betreten. Meine Großeltern hielten ihre kleine Armee unter Verschluss. Tanten und Onkel stritten zu Weihnachten manchmal darüber, wer sich um die Zwerge zu kümmern hatte, wenn die Alten mal nicht mehr seien. Sie sagten das im Spaß, aber ich fragte mich, was passieren würde, wenn die Zwerge einfach dort blieben, wo sie immer gewesen waren. Wie all die Jahre zuvor.Am Nachmittag blieben wir im Zimmer, ich fand ein Dominospiel im Schrank unter dem Fernseher und ein paar Bücher über Vogelkunde und die Mecklenburger Seenplatte. Die meisten waren noch von vor der Wende, und ich fragte mich, warum ich überhaupt nach dem Erscheinungsdatum gesucht hatte. Ein Gewitter zog auf, später hörten wir Schritte vor unserer Tür, wir hielten inne und warteten, bis sie sich wieder entfernten. Dann prasselte Regen ans Fenster, Lene lag unter einer Decke vergraben im Bett, ich schaute hinaus auf die Lichtkegel der Autos, die in Halbkreisen um den Platz fuhren. Und als mir auf einmal Tränen in die Augen schossen, war Lene hinter mir und nahm mich in den Arm. Ich kam mir schlecht vor dabei. Wir gingen hinunter in das kleine Restaurant, Lene schien ein bisschen aufgedreht, irgendwie wacher, sie berührte die Wände mit ihren Fingerspitzen, blieb vor den gerahmten Kupferstichen stehen, die im Treppenhaus hingen. Von unserem Platz in der Gaststube aus konnten wir in den Hof hinter dem Haus sehen, eine Lampe über der Tür machte Licht. Ein rabenschwarzer Hund hatte den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, seine Augen konnte ich nicht erkennen. Der Regen hatte aufgehört, große Pfützen spiegelten den Abendhimmel, vom Dach tropfte es unablässig herab. Wir bestellten Milchreis, und als er kam, aßen wir uns Löffel für Löffel vom Rand in die Mitte des Tellers vor, Lene schluckte sofort, ich behielt die weiche, körnige Masse noch kurz im Mund. Zum Nachtisch bestellten wir Kaffee, ich hoffte, davon meine bleierne Müdigkeit loszuwerden, mittlerweile hatte sie jedes Körperteil erfasst, alles war schwer und träge. In Berlin tranken wirviel Kaffee, das gehörte irgendwie dazu, war schon automatisiert. Lene hatte sich Pappbecher im Internet bestellt, weil sie die Aufdrucke und Muster nicht mehr ertragen konnte, was sie wollte, waren Streifen. Simple, bunte Streifen. Es dauerte eine Weile, bis sie den Großhändler überredet hatte, ihr nur einen Karton und nicht gleich fünfzig zu schicken, aber als sie eines Morgens strahlend in die Uni kam, in der Hand einen warmen Kaffee, wusste ich, dass sie es geschafft hatte. An dem Morgen sah sie aus wie eine Frau aus der Werbung, glücklich mit Bommelmütze, sie hatte das bekommen, was sie wollte. »Jeder, der sich einsam fühlt, sollte sich gestreifte Becher im Internet bestellen«, sagte sie. Tim fand das nicht gut. Tim war dagegen gewesen und schenkte ihr eine winzige Thermoskanne. Und es blieb nicht bei einer. Er schenkte ihr Thermoskannen in den verschiedensten Farben, die sie dann nicht benutzte. Aber sie warf sie auch nicht weg, und wenn wir an der Ostsee zelten waren, hatte jeder morgens eine kleine Kanne mit warmem Tee. Und Lene einen Pappbecher mit Kaffee.
    Als die Bedienung das kleine Kännchen und klirrende Tassen auf Untertassen vor uns abstellte, fragte ich Lene: »Wie viele Thermoskannen hast du eigentlich?« Sie schaute mich kurz mit kleinen Augen an, ihre Lippen wurden schmal. »Lass uns hochgehen«, sagte sie, stand auf und verließ den Raum. Ich ärgerte mich über mich selbst, blieb aber noch einen Moment sitzen, goss Kaffee in die kleine Tasse mit dem schmalen Henkel und schlürfte zwei, drei Schlucke. Als ich nach oben ging, klopfte ich an, bevor ich die Türklinke herunterdrückte, aber die Tür war verschlossen.Ich klopfte erneut. Mein Herz

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