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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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Sand liegt. Und dann weinte sie und drehte sich auf den Bauch, vergrub den Kopf zwischen ihren Armen. Ihre Tränen machten kleine Mulden im Sand. »Es ist noch gar nicht lange her«, flüsterte sie. Ich wusste nicht, was sie meinte, und als ich nichts sagte, schob sie hinterher: »Dass wir hier waren, Tim und ich.« Das hatte ich vergessen. Das hatte ich einfach vergessen. Ich kam mir vor wie der letzte Idiot, dass ich jetzt mit ihr hierher gefahren war. Sie waren in den Zug gestiegen und bis zur Endstation gefahren und dann hatte sie ein älteres Ehepaar mit an den Strand genommen, das hatte sie am Sonntagabend vor vierMonaten erzählt, als sie ihre Füße auf meiner Heizung ablegte. Ihre Mobiltelefone hatten sie mit Absicht zuhause gelassen. Und nun lag sie neben mir an diesem Strand, die Sonne brannte auf ihre Waden und Kinder suchten in der Hocke den Strand nach Heiligtümern, Hühnergöttern und Bernstein ab. Eltern liefen gebückt hinterher und bekamen Panik, wenn eines der Kinder sich ins Wasser aufmachte oder einfach unter dem Absperrdraht hindurch in die Dünen schlüpfte. Zwei Motorboote lieferten sich in der Ferne ein Wettrennen, ein Jeep knatterte ohrenbetäubend laut im Schritttempo an uns vorbei und überholte eine Wandergruppe mit Sonnenhüten und Laufstöcken. Es knirschte überall und ihre Füße schleuderten uns Sand auf die Köpfe. »Ich glaube nicht, dass es irgendwann aufhört. Das mit uns war irgendwie immer«, sagte Lene und ließ Sand aus ihrer Hand zurück auf den Boden rieseln. »Ja«, erwiderte ich leise und ohne Überzeugung. Ich dachte, dass es vielleicht auch nur die Angst davor war, dass mit der Trauer auch die Liebe verschwinden würde und die gemeinsame Vergangenheit. Vielleicht vergisst man einfach so, vielleicht gehört das dazu, aber niemand kann sagen, dass das ohne Schmerz vonstatten geht, und dass Schmerz nicht etwas hinterlässt, das noch mehr weh tut, eine Leere. Eine Stimme in meinem Kopf sagte: Man kommt über alles hinweg, man gewöhnt sich. Sie hörte sich fremd an.
    Als ich zum Auto zurückkehrte, um eine Flasche Wasser zu holen, sah ich, dass Vince versucht hatte, mich zu erreichen. Mein Herz klopfte plötzlich, vielleicht hatte Lene mit ihm gesprochen. Es klingelte zweimal, bevor er abhob.
    »Bist du’s?«
    »Ich bin’s«, sagte er und atmete erleichert auf. »Wo seid ihr?«
    »Auf dem Darß.«
    »Und wie geht es Lene?«
    »Schlecht. Aber wir sind am Meer. Das ist schon mal was. Natürlich sind wir genau dorthin gefahren, wo sie mit Tim war, aber ich wusste das nicht.«
    »Vielleicht wollte sie das ja so.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Wann kommt ihr zurück?«
    »Ich weiß es nicht. Heute nicht, glaube ich. Wie ist es denn?« Ich schwieg und vermutete, er wisse, was ich meinte. Wie es sei dort. In Berlin. Der Stadt, deren Namen wir nicht nannten.
    »Ich hab mit ihrer Mutter gesprochen, sie machen sich Sorgen, aber sie drängeln nicht.«
    »Ich weiß nicht, was wir hier machen. Ob das gut für sie ist. Mir fällt nichts mehr ein.« Die Worte kamen einfach so aus mir heraus, und als ich angefangen hatte, gab es kein Halten mehr. »Ich fuchtele die ganze Zeit mit den Armen in der Luft herum, aber es führt zu nichts und ich weiß nicht, wie man sich zusammenreißt. Ich werde immer kleiner irgendwie, und Lene ist schon fast nicht mehr da, sie schweigt die ganze Zeit, und wenn nicht, dann weint sie oder erzählt von früher. Und was soll ich da sagen?«
    »Pass einfach auf, dass sie sich nicht ganz vergräbt.«
    »Ja«, sagte ich, als hätte ich auf diesen Satz wie auf eine Anweisung gewartet. Als sei das ganz einfach.
    »Bis bald, Tonia. Ich ruf wieder an.«Bis bald. Dabei hatte die Zukunft kein Gesicht, sie bestand einfach aus Zeit, die nicht gegliedert oder verplant war, die verbracht werden musste. Am Weg zum Strand stand ein kleines, verwittertes Holzschild mit einem Sonnenschirm darauf. So eines gab es an jedem Aufgang, jedes mit einem anderen Symbol, damit Kinder, die sich verlaufen hatten, wieder zu ihren Eltern zurückfinden konnten, weil sie sich bunte Gegenstände auf Schildern leichter merken als den Knick im Ast eines Baumes, die Biegung im aufgeschütteten Torf. »Wir liegen beim lila Hund«, konnte die Mutter zu ihrem Kind sagen, das war Erklärung genug. »Und Eis gibt es beim bunt gestreiften Ball.« Als ich wieder bei ihr ankam, hatte Lene eine kleine Burg gebaut. Sie hatte den weichen, weißen Sand auseinander geschoben und die dunklere, leicht feuchte

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