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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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Schicht zum Vorschein gebracht. Mit ihren bloßen Händen hob sie schaufelweise Sand aus einem Loch auf einen Hügel. Hin und wieder klopfte sie ihn fest, manchmal geriet ihr eine Muschelschale unter den Fingernagel oder ein Stein lag im Weg. Die kleinen Fundstücke wurden auf einem extra Haufen gesammelt und dienten später der Verzierung. Die Burg, die Lene konstruierte, hatte keine Türmchen, es gab keine Burgmauer oder weitere Gebäude für die Ritterschaft. Der große, dunkelbraune Koloss hatte lediglich ein Loch in seinem Bauch, in das ein von ihren Handflächen platt geklopfter Weg führte. Den Balkon darüber erreichte der Schlossherr über eine Art Wendeltreppe ohne Stufen, einen sich um den Kegel schlängelnden Weg, dessen Rand mit Muscheln besetzt war. Die Spitze krönte ein Stengel Strandhafer, die Brüstung derAussichtsplattform war mit Kieseln besetzt. Manchmal schmatzte Lene konzentriert und orderte noch weitere Bauutensilien: »Noch einen schmalen Stützstock!« – »Ein paar Muscheln!« – »Nassen Sand!« Ich reichte ihr alles, was sie brauchte und beobachtete, wie die Adern auf den Oberseiten ihrer Hände hervortraten.
    Als sie fertig war, brachen wir auf, gingen den kleinen Weg zurück, schlugen aber nicht die Richtung zum Parkplatz ein, sondern folgten der Strandpromenade auf dem Deich. Ich weiß nicht, wie viele Symbole aus splitterndem Lack wir noch passierten, denn die Einfahrten zum Strand sahen wirklich alle gleich aus. Manchmal liefen wir Hand in Hand, dann wieder ein paar Meter voneinander entfernt, aber wir ließen uns Zeit und schauten uns um. Wir kamen an Rentnerpaaren vorbei, Familien auf bunten Fahrrädern überholten uns mit aufgeregtem Geklingel und allerlei Anhängern und Gepäck. Gelbe Regenmäntel flatterten auf den Gepäckträgern. Und immer wieder schleppten die Menschen etwas zum Strand, Eimer und Schirme. Einmal hievten zwei junge Männer einen Strandkorb auf einem Wägelchen mit Rollen durch den tiefen Sand. Einer zog so sehr, dass er fast in der Horizontalen schwebte, der andere versank fast bis zu den Knien im Sand, während er von hinten schob. Beide sahen uns kommen und grinsten breit, ohne zu sehen, dass der andere exakt den gleichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Wir gingen mit gesenktem Blick vorbei, einer von beiden sagte Hallo, doch wir schauten nicht auf, sahen nicht, welcher. Lene begann irgendwann damit, die weißen Pfeiler zu zählen, die im Dunkeln aufleuchten,wenn Scheinwerferlicht auf sie fällt. Als sie bei zehn war, begann es mich zu nerven, aber ich sagte nichts. Mir fiel ein, dass sie das schon einmal gemacht hatte, als wir vor der Öresundbrücke im Stau standen damals. Es war eng und stickig gewesen, Tim und Lene hatten sich kurz zuvor um das letzte Käsebrötchen gestritten, und plötzlich hatte niemand mehr ein Wort gesagt, bis Lene mit dem Zählen anfing. Irgendwann hatte Tim seine Hand auf ihr Knie gelegt, und sie hatte aufgehört. Auf dem Rastplatz in Schweden war es wieder normal gewesen, wir hatten Zigaretten und Gummibärchen gekauft, die Cola spritzte von der Rückbank auf die Frontscheibe, und wir legten uns auf den Hügel neben dem Imbiss. »Wie viele Vögel man sieht, wenn man die Zeit dafür hat«, hatte Lene gesagt und die Augen geschlossen.

    Das letzte Stück vor der Seebrücke liefen wir barfuß am Wasser entlang. Allmählich verschwanden die Leute zwischen den Bäumen auf dem Deich, nur noch vereinzelt sah man jemanden am Strand. Auf den Holzplanken der Brücke musste man aufpassen, dass man sich keinen Splitter in den nackten Fuß bohrte. Schon von Weitem fiel uns ein Mann auf, die Arme auf das Geländer gestützt stand er neben dem Fernglas, genauso unbeweglich und leicht nach links aufs Meer schauend wie das Gerät aus Metall, das seinen Dienst nur aufnahm, wenn man ein paar Münzen hineinwarf. Ein Leuchtturm schaute aus dem Wald am Ende der Halbinsel, so weit konnte man von der Spitze der Brücke aus sehen. Manchmal holte der alte Mann neben dem Fernglas ein paarBrotkrumen aus seiner Jackentasche und warf sie den Möwen in die Luft, die im Flug stehen blieben und flügelschlagend ihren Imbiss einnahmen. Wir setzten uns auf eine Bank ein paar Meter von ihm entfernt. Als ich meinen Zeh in die Rille zwischen den Planken steckte, hatte ich kurz Angst, er könnte stecken bleiben, aber er passte genau hinein und ließ sich auch ohne Probleme wieder heraus ziehen. Darunter plätscherte und toste es in Dunkelblau und Grau. »Mit

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