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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Ebenbild. Ich sehe, wie es sich in eine junge, blonde Frau verwandelt, die zu meinen Füßen Anemonen streut. Seltsam, diese Blumen. Ich habe sie hier, zwischen all dem Schiefer und Granit, noch nie gesehen. Die Silhouette der kleinen Jeanne ist kein ankou , sondern ein Hologramm für liebende Frauen, die sich unbekümmert ins Unbekannte vorwagen. Ich sollte mir ein Bild davon in die Buchhandlung hängen und aufhören, mich selbst zu bemitleiden. Die Kleine ist mager, hat himmelblaue Augen und kleine Brüste. Sie trägt einen Kittel und eine Haube über dem Haar, eine Uniform wie jene, die ich in meiner Kindheit in der Schule getragen habe. Ich soll näherkommen, sie winkt mich herbei. Es ist die Einladung zu einer privaten Zeremonie, zu einem bescheidenen Begräbnis. Aber sicher, der Leichnam muss schnell beerdigt werden, damit er nicht stinkt. Sie reicht mir die kindliche Hand. Meine Hände verschränken sich mit den ihren, Handfläche an Handfläche, Finger zwischen Fingern. In den Stein wird eine Inschrift gemeißelt:
    HIER RUHT EINE LIEBE
NICHT VERKÜMMERT SONDERN
GESTORBEN AUS ACHTLOSIGKEIT
    Wenn die Beerdigung vorbei ist, kann ich weinen, so Gott will. Ich bekomme kaum Luft. Was, wenn ich hier stürbe, direkt vor ihr? Die Einwohner von Belle-Île würden sich fragen, was eine italienische Touristin an einem Wochentag im April mitten auf
einem Feld macht. Sie würden mein Zimmer durchwühlen, würden ihre Nase in meine Kleider stecken, würden in meiner Handtasche herumkramen. Und schließlich würden sie den Brief finden und das Notizbuch mit den Sätzen von Mattia und Virginia Woolf und anderen traurigen Frauen. Der Polizist würde die Legende vom ankou erzählen, der zwar kein Gesicht hat, aber dafür viel Macht. Es gibt kein bretonisches Dorf, das nicht seinen ankou hätte.
    Ich steige wieder aufs Fahrrad.
    Der Himmel über Belle-Île ist jetzt eine einzige Wolke. Diese ungesunde Leidenschaft muss der Zensur unterworfen werden, das bedarf einiger Anstrengung, Emma. Und Ernsthaftigkeit. Tag fürTag muss ein Stück herausgekürzt, ein Satz gestrichen werden. In der Flucht vor der Erinnerung bin ich schließlich Weltmeister. Ich überarbeite mit Vergnügen, was ich zu sein glaubte und was ich geworden bin. Das ist wie bei Hamlet, wenn Polonia ausruft: »Ist’s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode.« Um eine Liebe auszulöschen, bedarf es ebenfalls der Methode.
    Ich setze mein Zerstörungswerk fort, indem ich in die Pedale trete, und lasse mich von der Locmaria trösten, die in den Hafen einläuft und an der Mole andockt. Aus ihrem Maul entlässt sie Autos, zwei Lieferwagen und steif gefrorene Männer und Frauen. Ich setze mich in den Park vor dem Hafen von Sauzon. Es ist kalt, aber auch das ist normal.
    Unter meiner Jeansjacke bin ich durchgeschwitzt.
    Das LaTouline ist öd und leer, wie die Vormittage in der Buchhandlung, wenn es draußen regnet. Ich gehe in die Nummer 5 hoch. Das Bett kann ich quer benutzen, die Gliedmaßen wie ein Seestern in alle Richtungen gestreckt.
    An den ersten beiden Tagen hier habe ich Trauerarbeit geleistet. Alice wähnt mich unterdessen bei der Thalassotherapie. Manuele
liebt sie und hat sie gebeten, seine Frau zu werden. Mir fehlt der Mut, sie zu warnen.
    Jetzt regnet es heftig, der Himmel entlässt Regenschwälle wie Schwärme wilder Vögel. Ich habe Hunger und bereite mich auf die Pilgertour durch die Restaurants vor, wo wir charcuterie und Muscheln und riesige Krebse verschlungen haben. Liebe macht hungrig, und Federico hatte noch immer den Appetit eines Jugendlichen.
    Im Café de la Cale drücken zwei junge Paare Zitronenschnitze aus und essen Austern, die sie mit den Fingern von einer doppelstöckigen Servierplatte nehmen. Was gibt es da zu glotzen? Habt ihr nie eine Dame eine Karaffe vin blanc bestellen sehen? Ich werde alles ausprobieren und trotzdem nicht wie Duras als Alkoholikerin enden, die von jungen Liebhabern ausgenutzt wird. Mittlerweile weiß ich, wie ich mit meiner Schüchternheit umgehe. Ich muss mir nur etwas zu trinken einschenken.
    Das Tagesgericht ist Entrecôte in Rotwein. Ich fühle mich angetrunken, nun, da ich die schäbige Enthaltsamkeit aus meinem Leben verbanne. Im Angesicht der Welle, die das Restaurantfenster mit Salzwasser überzieht, trinke ich und bin sogar ein wenig heiter dabei. Doch dann werde ich vom Glück der jungen Leute abgelenkt, und plötzlich überfällt mich Fatalismus.
     
    Das Erwachen ist heikel, denn mein letzter Tag hier ist

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